Jan. 31

Jade Empire – Spiele ohne Verfallsdatum


Kommentare sind ausdrücklich erwünscht!

Rollenspiele für die XBox waren seiner Zeit leider Mangelware. Japanische Entwickler scheuten sich der Westkonsole die entsprechende Zeit zu widmen und der Rest der Welt spezialisierte sich bevorzugt auf Spiele actionreicherer Genres oder setzte auf bekannte Serien und Lizenzen. Da war es umso erfreulicher, dass die Jungs und Mädels von Bioware trotz bekannter Marktinteressen ein Herz für die Rollenspieler mit Konsole hatten.

China! Nein, doch nicht…

Jade Empire ist in einer Welt angesiedelt, die eine Mischung aus Geschichte und Mythos des alten Chinas zu sein scheint. Das sogenannte „Jadereich“ präsentiert sich mit Gebäuden wie Pagoden, Teehäusern und Schreinen, asiatischen Architekturen bei Palästen und Festungen, sowie Charakteren mit fernöstlich anmutenden Namen wie „Weiter Himmel“ oder „Jen Zu, die Strahlende“. Am markantesten ist dabei das alles dominierende Martial Arts Thema. Dutzende erlernbare Kampfstile, weise Philosophien und klassische Nahkampfwaffen wie Kampfstab und Schwert prägen dem Spiel den letzten Hauch des chinesischen Ambientes auf.

In dieser Welt übernimmt man die Kontrolle über einen Schüler der fernöstlichen Kampfsportarten, der kurz vor dem Ende seiner Ausbildung steht. Während man als des Meisters bester Schüler auf einer wichtigen Mission unterwegs ist, wird ohne Vorwarnung die Schule und das angeschlossene Dorf von den gefürchteten Lotus Assasinen angegriffen. Dieser Angriff wirft viele Fragen auf: Wer sind die Lotus Assasinen, warum greifen sie ein kleines Dorf an und wohin ist der ehrwürdige Meister verschwunden? Um diesen und anderen Fragen auf den Grund zu gehen macht ihr euch auf die Reise durch das Jadereich, trefft auf potentielle Gefährten und Bösewichte, verfeinert die eigene Kampftechnik und entscheidet von Fall zu Fall, ob ihr den selbstlosen Weg der Offenen Faust oder den eigennützigen Weg der Geschlossenen Faust beschreitet. Eure Gefährten warten alle mit ihren eigenen Geschichten und Geheimnissen auf, die es zu ergründen gilt und ihrerseits weitere Puzzlestücke des Gesamtbildes liefern. Sind die Begleiter alle vertrauenswürdig oder liegt Verrat in der Luft? Erhält man uneingeschränkte Unterstützung zu jeder getroffenen Entscheidung oder isoliert man sich von der Gruppe? Entwickelt sich eine Romanze zwischen Protagonist/-in und Gefolgsmann/-frau? Alles in allem also ein typischer Bioware-Titel mit allen Elementen, die man auch heute noch in Spielen wie Mass Effect oder Dragon Age: Origins findet.

Was trainieren wir? Den Weg der Faust!

Um eine solche Geschichte zu erzählen bietet sich natürlich ein klassisches Rollenspiel an. Bioware ist allerdings einen etwas anderen Weg gegangen und hat dabei die langjährige Erfahrung mit ungewohnten Elementen verbunden. Genre typisch beginnt man mit der Auswahl seines Avatars. Dazu stehen fünf Charaktere zur Auswahl, die ganz individuelle Stärken, Schwächen und Kampfstile besitzen. Generell können dabei aber sämtliche Eigenschaften – bis auf die äußere Erscheinung – auf die eigenen Vorlieben abgestimmt werden.

Die Spiel- und Charakterverwaltung wird den erfahrenen Spielern aus Knights of the Old Republic oder Neverwinter Nights bekannt vorkommen. So kann man generelle Spieleinstellungen vornehmen, vergangene Unterhaltungen nachlesen oder den Stand der aktuellen Aufgaben im Questbook kontrollieren. Natürlich werden hier auch die erhaltenen Erfahrungspunkte auf diverse Eigenschaften verteilt. Genau an diesem Punkt sieht man dann einen der markanteren Unterschiede gegenüber älterer Spiele. Es gibt zweierlei Arten von Erfahrungspunkten: Charakterpunkte und Technikpunkte. Der Charakter wird dabei lediglich über Körperkraft, Chi (Magiefertigkeit) und Fokus (Geschicklichkeit) definiert. Die eigentliche, Rollenspiel-typische Entwicklung findet über die erlernbaren Kampfstile statt. Hier unterscheidet man Waffenstile, waffenlose Stile, Elementarmagie, Unterstützungstechniken und Verwandlungszauber. Mit jedem Levelaufstieg können die Technikpunkte auf erlernte Stile verteilt werden und damit seine Spielfigur zu einem Allrounder in allen oder zu einem Spezialisten in wenigen Techniken machen. Da man während seiner Reise immer wieder Neues erlernt und in den verschiedenen Kampfsituationen auf unterschiedliche Stärken setzen muss, ist hier das Kernstück der Rollenspielelemente verankert.

Das eigentliche Spielgeschehen präsentiert sich entsprechend actionreich. Um die Stile zur vollen Geltung zu bringen, wurde zu Gunsten dynamischer Fights auf ein rundenbasiertes Kampfsystem verzichtet. Das hat Bioware wohl so gut gefallen, dass später nie wieder ein Rundensystem zum Einsatz kam. Einmal mit einem Gegner konfrontiert kann man sich in bester Brawlermanier erwehren, ohne dabei mit komplizierten Kombinationen behindert zu werden: Eine Taste zur Abwehr, der Rest für verschiedene Angriffe. In der Regel kämpft ihr gemeinsam mit einem eurer Gefährten, doch bei den meisten Gegnern macht es mehr Sinn euch mental von ihm unterstützen zu lassen. So kann euer Partner beispielsweise kontinuierlich das Gesundheitskonto im grünen Bereich halten oder etwa eure waffenlosen Angriffe verstärken. Herausfordernd ist viel mehr die Wahl der geeigneten Technik. Während des Kampfes kann dazu jeder Zeit zwischen den Stilen gewechselt werden. Dazu legt man bis zu vier der bevorzugten Stile auf das Steuerkreuz, aus denen ohne Zeitverzögerung ausgewählt werden kann. Sollten sich alle vier Stile als ineffektiv erweisen, kann diese Konfiguration schnell geändert werden. Insgesamt läuft das Spiel trotz der Kämpfe recht unblutig ab, es sei denn euch gelingt eine „Harmonische Kombination“. Mit einer solchen lassen sich durchschnittliche Gegner sofort eliminieren. Je nach Gegnertyp kann man dann schon mal in einer roten Fontaine stehen. Kämpfen ist der Dreh- und Angelpunkt von Jade Empire, aber es liegt am eingeschlagenen Weg wie oft und wie brutal der Spieler kämpft. Viele Aufgaben lassen sich auch ohne Kampf lösen – doch dazu später mehr.

Die Geschichte kommt bei all den Kämpfen nicht zu kurz. Zwischen den Actionsequenzen spricht man mit den Gefährten, diversen Stadtbewohnern, Händlern, Banditen und so weiter. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen oder wartet mit einer Aufgabe auf euch. Das Stichwort lautet dabei „Sidequests“. Kaum ein westliches Spiel dieser Zeit bietet eine solche Vielzahl an offensichtlichen und nebensächlichen Aufgaben: Helft einer Theatertruppe aus, übernehmt dabei eine tragende Rolle in ihrem Stück und bemüht euch dabei das Stück entweder zum Erfolg zu verhelfen oder den Autor als Staatsfeind zu diskreditieren. Beeindruckt einen alten Meister, damit er euch eine neue Technik beibringt oder fliegt im Ikagura-Stil mit eurer Flugmaschine durch Heerscharen von Feinden und erfüllt dabei einen Botenauftrag. Gerade während der ersten 3 Kapitel gibt es so viele Aufgaben zu erledigen, dass ihr stundenlang die eigentliche Handlung nicht ein Stück weiter führt. Natürlich sind diese Quests freiwillig, aber gerade die machen ein wirklich gutes RPG eben aus!

Aufgaben und Gespräche können dabei immer auf mindestens drei unterschiedliche Weisen gelöst werden. Verbale oder brachiale Gewalt bieten immer den einfachsten Weg, aber auch Diplomatie oder Hinterlist führen zum Erfolg. Es gibt zwar keinen falschen Lösungsweg, aber jede Entscheidung wirkt sich auf den Charakter aus. Handelt man stets selbstlos und tritt für die Gerechtigkeit ein sammelt man damit positive Punkte, ist man dagegen egoistisch oder hilft den falschen Leuten aus selbstsüchtigen Motiven geht es in die entgegen gesetzte Richtung. Diese Entscheidungen beeinflussen dabei den Ausgang der Geschichte, die in bis zu fünf verschiedene Enden gipfelt.

Selten hat die XBox eine solch schöne Grafik gesehen und ganz sicher sah kein westliches RPG für eine Spielkonsole bis dahin so gut aus. Es scheint, als wäre jeder Grashalm einzeln animiert und kleine Wasserfälle sind für die damalige Zeit sehr detailiert. Kleinigkeiten wie umher fliegende Schmetterlinge, im Wind schaukelnde Lampions oder umherlaufende Menschen hauchen dem Setting Leben ein. Die Hauptcharaktere wurden dabei mit viel Liebe zum Detail modelliert. Kleidung flattert im Wind, die Klinge eines Schwertes reflektiert die tief stehende Sonne und Gesichter sind so individuell, dass keine Verwechslungen möglich sind. Bei Passanten und Nebenfiguren muss man dagegen Abstriche machen – insbesondere Gesichter wiederholen sich dann und wann – aber davon abgesehen gibt es wenig zu mäkeln. Die eingangs erwähnten Gebäude, wie das für Hongkong-Filme obligatorische Teehaus, bilden mit ihrer Detailfreude und feinen Texturen den runden Abschluss des Gesamtbildes.

Der Soundtrack hat sich ebenfalls gewaschen. Wer auf eben diese alten Hongkong-Schinken steht, wird sich hier sofort zu Hause fühlen, denn die Musik bietet eine gesunde Mischung aus traditioneller, sphärischer, chinesischer Musik und typischer, westlich angehauchter Filmmusik. Eine leise spielende Zither im Heimatdorf ist genauso vertreten wie die japanischen Odaiko-Trommeln während eines Kampfes – ein Fest für die Ohren. Das Rauschen eines Flusses, betriebsames Gemurmel in der Hauptstadt und natürlich das Klingen aufeinanderprallender Schwerter sind dabei wie selbstverständlich.

Natürlich besitzt das Spiel 100%ige Sprachausgabe. Bioware hat sich sogar die Arbeit gemacht das gesamte Spiel einzudeutschen – und das nicht mal schlecht. Die deutsche Version scheint mir zwar nicht ganz an das Original heranzukommen – John Cleese (bekannt aus Monty Python) als Stimme des arroganten westlichen Barbars ist ein wahre Freude – aber ohne einen direkten Vergleich hört es sich wirklich sehr gut an.

Lohnt sich auch heute noch

Kaum zu glauben, aber unter Spielern wurde 2005 heftig diskutiert, ob es sich hier wirklich um ein RPG handelt. Vielen erschien die Charakterentwicklung als zu kurz gekommen und letztlich wird sehr viel gekämpft. Dazu kann man eigentlich nur sagen, dass es sich um ein waschechtes RPG handelt, das ein wenig die Grenzen verwischt. Es ist richtig, dass dem Charakter nicht viele Eigenschaften zugewiesen werden können. Der wahre RPG-Anteil entfaltet sich dagegen bei den Kampfstilen, da es bis zu 40 verschiedene Techniken zu erlernen und zu verbessern gilt. Das Spiel ist damit ein Pflichtkauf für Spieler, die gerne ausgefeilte Geschichten in ihren Games erzählt bekommen wollen und Spaß daran haben viele Lösungswege auszuprobieren – eben typisch Bioware. Die Spielzeit für das erste Durchspielen liegt „nur“ bei 30 Stunden – bei 20-25 Stunden, sofern man Dialoge überspringt oder Sidequests auslässt. Dieser Umfang geht aber absolut in Ordnung wenn man bedenkt, dass man im Anschluss „den anderen Weg“ mit einem anderen Charakter spielen kann.

Jade Empire ist voll kompatibel zur XBox 360. Neben der Download-Version funktioniert also auch die originale Disk-Version der XBox. Sogar der zusätzliche Charakter der Limited Edition lässt sich auf der XBox 360 installieren. So ganz nebenbei ist das Spiel auch für den PC erschienen 🙂 Wer auf Rollenspiele steht, die mehr als Hack&Slay bieten, muss hier auch heute noch zugreifen.


2 Kommentare zu “Jade Empire – Spiele ohne Verfallsdatum”


  1. Genesis
    sagt:

    Ein wirklich schöner Artikel zum Spiel. Ich habs leider nie gespielt, da ich nie eine Xbox besaß. Aber deine Beschreibungen deuten schon an, dass es quasi ein Dragon Age/Mass Effect in asiatischen Gewand ist. Ich würde es wirklich begrüßen, wenn Bioware das Setting in der Zukunft nochmal aufgreifen würde.


  2. spontanadmin
    sagt:

    Wie gesagt gibt’s Jade Empire auch für PC 🙂

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