Ich gehöre ja zu der aussterbenden Gattung von Videospielern, denen Geschichte und Charakterentwicklung in einem Game wichtiger als Grafik oder Onlineschnickschnack ist. Als solcher wird es zunehmend schwieriger die richtigen Spiele zu finden, die auch ohne Hype eine Existenzberechtigung haben. Problematisch ist dabei nur, dass ein Hype mit Werbung einhergeht. Fällt letzteres nur minimalistisch oder ganz aus kann die eine oder andere Perle an einem vorbeirutschen.
Deadly Premonition – Intro
Glücklicherweise ist dies mit dem für Europa XBox 360 exklusiven Titel Deadly Premonition nicht geschehen. Dieses Low Budget Spiel, welches bereits am Streetday für nur 30 Euro zu haben war, wurde während einer Diskussion über Twin Peaks erwähnt, weil es angeblich mehr als nur ein paar Elemente aus der Serie „leiht“. Als mittelgroßer David Lynch Fan habe ich mir direkt mal ein paar Rezensionen und Spielermeinungen eingeholt und war über die durchweg zwispältige Meinung erstaunt. „Grafik, die selbst für die vergangene Generation mies ist“, „Steuerung bockiger als ein mexikanisches Maultier“ und „ewiges Rumgurken in Autos, die sich wie Panzer fahren“ waren immer wiederkehrende Beschreibungen. Dagegen standen aber auch Bemerkungen wie „Nebenmissionen, die die Würze des Spiels sind“, „Geschichte, Charaktere und Erzählweise, die stark an Twin Peaks erinnern“, „unzählige Kleinigkeiten, die sämtliche Macken vergessen machen“. OK, Grafik ist grundsätzlich sekundär, an die Steuerung kann man sich sicher gewöhnen und die Autofahrten werden schon nicht so schlimm sein, also ab in den Onlineshop meines Vertrauens, den Warenkorb füllen, bezahlen und warten.
Deadly Premonition – Survival Abschnitt
Direkt die erste Spielstunde hat so ziemlich alles Negative bestätigt, was ich zuvor gelesen habe, aber dank des Hauptcharakters, der mit seiner Vorliebe für Kaffee und der Begeisterung für frische Backwaren sehr an Special Agent Dale Cooper erinnert, blieb ich bei der Stange, quälte mich dank der gruseligen Atmosphäre und der Steuerung zum Trotz durch das erste Survival Level, und wurde mit einer tollen Mystery-Geschichte rund um einen Ritualmord belohnt.
Deadly Premonition lässt sich am ehesten in das Genre Survival Horror stecken, obwohl dies dem Spiel nicht wirklich gerecht wird. Die meiste Zeit ist man damit beschäftigt durch die offene Spielwelt zu fahren, mit schrulligen Stadtbewohnern zu sprechen und Hinweise rund um den Mord am lokalen Blondchen zu sammeln. In den Gesprächen erfährt man oft Kleinigkeiten, die hauptsächlich der Charakterisierung der verschiedenen Personen dienen, aber man aktiviert auch verschiedene Nebenmissionen und treibt natürlich die eigentliche Geschichte weiter. In den Abschnitten der Hauptgeschichte kommt es immer wieder zu den eigentlichen Survivaleinlagen, die stark an Genreprimus Silent Hill erinnern. Die Umgebung bekommt einen schleimig-schmutzigen Anstrich und anstatt der normalen Passanten erscheinen plötzlich geisterhafte Zombies aus Wänden und Boden. Diese sind einzeln als Gegner nicht der Rede wert, sind aber in Horden durchaus lästig. Gestöhne wie „kill me“ oder „I want to die“ macht die Atmosphäre perfekt. Da man mit den richtigen Nebenmissionen schnell gute Waffen mit unbegrenzter Munition besitzt, hat man dennoch relativ leichtes Spiel und kann diese Abschnitte weitestgehend mühelos abschließen.
Wie bereits erwähnt sind die Nebenmissionen tatsächlich das Salz in der Deadly Premonition Suppe. Dank dieser Missionen lernt man wirklich jeden der Nebencharaktere gut kennen und – viel wichtiger – erspielt man sich viele Dinge, die das Agentenleben deutlich erleichtern. So kann man mit der Zeit die Autos frisieren lassen und Neue dazukaufen, man erhält größere Taschen für Waffen und Objekte und man findet verschiedene Waffen mit unendlicher Munition. Selbst wenn man nicht so sehr an „Gequatsche“ interessiert ist, hat man so den ständigen Ansporn weitere Objekte zu bekommen.
Eine Fahrt durch den Wald
Es ist nicht zu leugnen, dass die Macher von Deadly Premonition – ein gänzlich japanisches Team – stark von Twin Peaks beinflusst wurden. Bereits im Vorspann wird die Leiche einer jungen, blonden Frau gefunden, der Ort des Geschehens ist ein abgelegenes Städtchen samt Sägewerk in den Wäldern nahe der kanadischen Grenze, das Spielmenü befindet sich in einer Art „Red Room“ und Charaktere wie die Lady, die sich ständig mit ihrem Kochtopf, den sie mit sich rumträgt, unterhält gehen im bestgemeinten Fall als Hommage an die TV-Serie durch. Je länger man spielt merkt man allerdings, dass man sich nur an diesen Details bedient hat, um eine eigene Geschichte auf sichere Füße zu stellen. Sehr schnell kommt es zum ersten Twist der Storyline, die entscheidend von Twin Peaks abweicht.
Wer also nicht zu den Liebhabern der Grafikblender gehört, mit einem ruhigen und gewöhnungsbedürftigen Gameplay klar kommt und Lust auf ein etwas anderes Spiel hat, sollte schnell zugreifen. Gerüchten zufolge war die internationale Auflage von Deadly Premonition relativ klein, was auf kurz oder lang dazu führen dürfte, dass das Spiel schnell wieder aus den Regalen verschwindet. Importeure dürfen auch nach der asiatischen PS3-Version schielen, die es bisher nicht nach Europa geschafft hat. Das Spiel heißt in dieser Version allerdings The Red Seeds Profile, ist aber ansonsten identisch mit der XBox 360-Version. Wer sich sein Examplar sichern kann, darf sich auf eine abgefahrene Geschichte freuen, die zwar gegen Ende etwas abdreht, aber trotzdem eine permanente Spannung erzeugt.
Florentine sagt:
4. Januar 2011
Toller Post, ich komme auf jeden fall oefter
GenesisAUT sagt:
11. August 2011
Ich muss dir recht geben. Viel zu oft fixieren sich viele Entwickler nur noch auf die Technik und vergessen dabei den Rest. Klar ist ne super Grafik ein fetter Pluspunkt für mich, doch was bringt mir die neueste Technik, wenn das Spiel uninteressant ist? Noch schlimmer ist das mit dem Onlineschnickschnack. Ich will nen coolen Shooter, den ich offline in der Kampagne und in nem Deathmatch zocken kann? Womöglich auch noch mit Fahrzeugen und nem coolen Setting? Fehlanzeige. Auf der aktuellen Generation fällt mir jetzt nichts ein. Damals habe ich Time Splitters geliebt, weil man einfach Spaß dabei hatte und heute gibts fast alles nur noch online. Selbst kurze Kampagnen werden vertuscht indem man nen „umfangreichen Online-Multiplayer“ hat. Aber wenn jeder Shooter solch einen hat, machts ja erst keinen Sinn überhaupt einen zu spielen, weil man dann in keinem zu was kommen wird…