USA 1948 – Der zweite Weltkrieg ist gewonnen, Deutsche und Japaner wurden entmilitarisiert und die siegreichen Soldaten kehren in die Heimat zurück. Für die Amerikaner scheint die Welt in Ordnung zu sein, wären da nicht die Probleme, die die Nachkriegszeit mit sich bringt: Männer mit Kriegstraumata, die wieder in ihren unterbezahlten Jobs arbeiten, Firmen mit gestrichenem Kriegsetat, die um die nackte Existenz kämpfen und Korruption auf allen Ebenen, um ohne Rücksicht auf Verluste den letzten schnellen Dollar einkassieren zu können. Obendrein stehen Mord, Vergewaltigung, Brandstiftung und Drogenhandel auf der Tagesordnung – willkommen bei L.A. Noir!
Die Heimkehr eines Kriegshelden
Cole Phelbs, der Protagonist des Spiels, ist ein gefeierter Kriegsheld. Ausgezeichnet mit dem Silver Star und durch unzählige Feldbeförderungen aufgestiegen, erhält er nach seiner Heimkehr die Gelegenheit als Ordnungshüter des Los Angeles Police Departments seine Fähigkeiten einzusetzen. Der Rummel um seine Person ist ihm spürbar unangenehm und am liebsten würde er seine Kriegsvergangenheit, die immer wieder in Zwischensequenzen erzählt wird, nie wieder zur Sprache kommen lassen, aber die Polizei von LA benötigt einen Vorzeigepolizisten, um das angeschlagene Image aufzubessern. Als Straßenpolizist klärt Phelbs direkt einen Mord auf offener Straße auf und wird prompt zum Detective befördert. Im Laufe des Spiels durchläuft man auf diese Art und Weise verschiedene Abteilungen und untersucht Verkehrsunfälle mit Todes- oder Verletzungsfolge, Morde und Brandstiftungen. Jede Abteilung markiert einen eigenen Handlungsstrang mit verschiedenen Fällen, die anfangs zusammenhanglos zu sein scheinen, im Verlauf der Untersuchung aber stetig weitere Puzzlestücke zu einem großen Ganzen hinzufügen. So untersucht man im ersten Abschnitt verschiedene Frauenmorde, die historisch als Black Dahliah Morde bekannt sind. Handelt es sich um Trittbrettfahrer oder ist es ein Serientäter? Der Führung des Police Departments ist es egal, denn die will nur eines sehen: Festnahmen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Im weiteren Verlauf untersucht man den Handel und Missbrauch von Morphium aus Militärbeständen und ab diesem Zeitpunkt nimmt die eigentliche Grundhandlung allmählich Fahrt auf. Wer ist darin verwickelt, wo kommt das Rauschgift her und warum entkommen die großen Fische immer wieder dem Zugriff der Polizei? Phelbs gerät zunehmend zwischen die Fronten von Rechtschaffenheit und Korruption.
Polizeiarbeit ist auch nur Routine
Spielerisch präsentiert sich L.A. Noire solide, aber abwechslungsarm. Die zentralen Elemente sind das Suchen von Beweisen und Indizien, sowie das anschließende Verhör von Zeugen und Verdächtigen. Beides steht im direkten Bezug zueinander, da man in einem Verhör nur dann die passenden Aussagen erhält, wenn man den Gegenüber mit den richtigen Fundstücken und Kausalzusammenhängen in die Zange nehmen kann. Will man ein Verhör ohne gefundene Beweise durchführen, ist man natürlich schnell fertig und der Fall verläuft im Sande, daher ist gründliches Suchen notwendig. Dankenswerterweise ertönt ein kurzes Signal, sobald man alle relevanten Dinge gefunden hat und man kann sicher sein, nichts wichtiges übersehen zu haben. Im Verhör gibt das Spiel Fragen vor, weshalb sich der Spieler keine großen Gedanken machen muss etwas falsch zu machen. Die Herausforderung besteht darin die jeweilige Aussage zu bewerten, um eventuelle Lügen oder zumindest Halbwahrheiten herauszufiltern. So stehen immer die Optionen „Wahrheit“, „Lüge“ und „Anzweifeln“ zur Wahl bereit. Bei Wahrheit akzeptiert man die Aussage und geht zur nächsten Frage über, bei Lüge rüttelt Phelbs an der Aussage und stellt sie als falsch dar, woraufhin der Beschuldigte einen Beweis sehen will, und bei Anzweifeln stichelt man ein wenig herum, ohne wirklich einen Beweis zu haben.
Als Entscheidungshilfe dienen Mimik und Körpersprache, die je nach Charakter ausgeprägt oder unterschwellig bemerkbar sind. Ein Herumzappeln oder ein kleiner Schweißausbruch deutet immer auf eine Unwahrheit hin. Ist man sich noch immer unsicher kann man einen der begrenzten Intuitionspunkte einsetzen. Mit diesen eleminiert man einen der drei Punkte und grenzt bei den Beweismitteln die Auswahl ein, oder man entscheidet sich anhand der Statistik anderer Spieler. Als aufmerksamer Spieler kommt es nach kurzer Eingewöhnungszeit nur selten zu Fehlern, auch wenn es hin und wieder schwer fällt zwischen der Lüge und dem Anzweifeln zu wählen, da man sich möglicherweise schon ein offensichtliches Urteil gebildet hat und darüber vergisst, dass man im Grunde nichts in der Hand hat. Die Aufklärung eines Falls hängt maßgeblich von den Verhören ab, da nur so weitere Verdächtige und neue Orte erkundigt werden können. Stellt man sich ungeschickt an und patzt bei einer Kernaussage, ist der Fall schneller vorbei, als man Phelbs sagen kann.
Alles in allem kommt man aber immer gut durch, da man doch immer wieder bei der Hand genommen wird und nie wirklich stecken bleibt. Neue Orte werden automatisch auf der Karte eingetragen und neue Personen erscheinen mehr oder weniger automatisch an den Schauplätzen oder werden auf das Revier bestellt. Ein Gegegentlicher Anruf bei der Zentrale reicht meist schon aus, um die nächsten Schritte machen zu können. Neben dieser Polizeiarbeit gibt es auch ein paar Actionabschnitte. Es gibt wilde Verfolgungsjagden per Automobil oder zu Fuß, es kommt immer wieder zu unspektulären Shootouts oder Schlägereien und in seltenen Fällen ist Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen gefragt. Nach 2-3 Stunden Spielzeit hat man im Grunde alles gesehen, was das Gameplay hergibt. Interessant ist vielleicht noch, wie man L.A. Noire generell spielen will. Nimmt man den Verlauf der Geschichte so hin, wie es dem eigenen Erfolg oder Versagen entspricht, oder unterbricht man das Spiel immer wieder, um das optimale Verhör führen zu können und das Maximum an Beweisen zu erhalten, um auch am Ende das fette Lob vom Chef zu kassieren? Schließlich kommt man auch weiter, wenn man nicht die Topbewertungen erhält, aber ist man der Phelbs, der dem Aushängeschild entspricht, oder ist man doch eher ein Cop, der auch mal Fehler macht? Testet euer Ego 😉
SpielFilm?
L.A. Noire zeichnet ein Bild vom Los Angeles der 40er Jahre, wie es unserer heutigen Vorstellung entspricht, doch von der zu 90% korrekt rekonstruierten, frei befahrbaren Stadt und einer gewissen Grundstimmung, ist vieles sehr überzogen dargestellt. Rassismus, Patriotismus und Komunistenhass waren sicher prägend für diese Zeit, bedienen hier aber mehr die bereits erwähnten Klischees zu Gunsten der Atmosphäre. Die Charaktere bedienen dabei so ziemlich allem, das nicht nur im Film Noire dargestellt wurde. So sehen wir eine Stadt und deren Einwohner mit wenig individueller Tiefe, aber dafür mit umso unterhaltsameren Nebendarstellern. Und davon gibt es nicht wenige. Ich habe mir zwar nicht die Mühe gemacht die Namen der Schauspieler zu zählen, die für das Motioncapturing herangezogen wurden, aber der Blick in das Booklet zeigt, dass es ein paar hundert gewesen sein müssen. Das Besondere an L.A. Noire ist nämlich die Darstellung der Gesichter und deren Mimik, die für das Gameplay von großer Bedeutung sind. Als Nebeneffekt erkennt man einige Schauspieler wieder, die in Fernsehserien wie „Mad Men“ oder in zahllosen kleinen Gastrollen anderer Produktionen aufgetreten sind. Oft sind es nur Sequenzen von wenigen Sekunden, doch macht diese optische Vielfalt vieles der Substanz von L.A. Noire aus. Bei so vielen Profis liegt es nahe, dass das Spiel mehr einer cineastischen als einer klassischen Open World Umsetzung entspricht: Viele kleine Dialoge während man unterwegs ist, kleine Zwischensequenzen, die mal lustig, mal dramatisch sind und immer wieder mehr oder weniger geistreiche Kommentare von Dritten während der Ermittlungen. Abgerundet wird die Präsentation durch einen Soundtrack, der teils aus originalen Radiosendungen und Musik der 40er Jahre, teils aus einem Original Score besteht, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn ein Fall eine dramatische Wendung erhält oder in eine entscheidende Phase eintritt. Natürlich ist das Spiel auch in der deutschen Version komplett englisch (amerikanisch) mit deutschen Untertiteln, da es wohl kaum ein Studio hinbekommen hätte so viele qualitativ hochwertige Sprecher zu bekommen. Davon mal abgesehen leben die Charaktere durch das Zusammenspiel von Mimik und Sprache – echtes Schauspielhandwerk!
Verpasste Gelegenheiten
L.A. Noire hat mich nach einer gewissen Eingewöhnungsphase durchaus gepackt, was aber hauptsächlich an der sich langsam entwickelnden Geschichte liegt. Ist man an einem gewissen Punkt der Handlung verhält sich das Spiel wie ein Fortsetzungsroman, der einfach weitergelesen werden muss. Leider fehlt dem Gameplay das gewisse Etwas, um auch Leuten, die weniger Wert auf eine Geschichte legen, zu fesseln. Dabei fallen einige verpasste Chancen auf: So fehlt beispielsweise ein Moralsystem, durch das man sich zum guten Cop oder bösen Cop entwickeln kann. Es hätte wahrscheinlich die Geschichte ausgehebelt ein solches System umzusetzen, aber wo macht ein solches System mehr Sinn, als in einem Polizistenspiel? Zu diesem fehlenden Feature gesellt sich nahtlos die ausgelassene Möglichkeit der Wahl, wie man mit Kriminellen umgeht. Sowohl während der Hauptquest als auch in den Nebenquests habe ich mich oft gefragt, warum ich den armen Kerl jetzt abknallen musste. Hätte es ein Schuss ins Bein mit einer anschließenden Verhaftung nicht auch getan? An dieser Stelle sind mir die Klischees ein wenig zu weit gegangen. Um die Spielzeit für Achievment- und Trophyfans aufzubohren gibt es noch ein paar Sammelaufgaben, die man wirklich nicht braucht. Das Sammeln neuer Fahrzeuge ist ja noch ganz interessant, da man dadurch ein paar schöne Oldtimer zu sehen bekommt, aber die Suche nach Filmrollen und Polizeimarken, die in ganz Los Angeles verteilt sind, braucht wirklich kein Mensch (ohne Walkthrough).
Trotzdem
Es gibt viele Filme und Spiele, die sich dem Thema „Krieg“ auseinandersetzen. Bei heroischen Versionen geht es um viel Pathos, bei den Antikriegsvarianten um den Konflikt zwischen Befehl und Gewissen. In Spielen überwiegt eindeutig die Pathos-Fraktion, daher ist es erfrischend einmal die direkte Nachkriegserfahrung erzählt zu bekommen. Dabei richtet sich L.A. Noire ganz sicher an ein erwachsenes Publikum, welches auch gerne einmal den Controller nicht nur zum Feuern und Nachladen benutzen will. Leider schafft es das Spiel nicht von Anfang an mitzureissen und in der Zeit die bis zur Entfaltung der Storyline vergeht, verliert L.A. Noire sicher viele Spieler, aber wer auch mit einer sich langsam entwickelnden Handlung zurechtkommt, auf dialoglastige Erzählweise steht und einem Spielprinzip, welches an Ace Atorny erinnert, etwas abgewinnen kann, ist im Los Angeles von 1948 bestens aufgehoben. Da das Spiel auch als Complete Edition mit zusätzlichen Fällen zum Budgetpreis zu bekommen ist, macht man auch als Unentschlossener im Grunde nichts falsch.
Genesis sagt:
23. Juli 2012
Schön, dass dir das Spiel gefallen hat. Insgesamt hast du ja ziemlich ähnliche Punkte angesprochen wie ich. Das alles noch zu verbessern hätte aus LA Noire wirklich ein Top-Game machen können. Somit bleibt es aber leider nur ein sehr gutes Spiel. Und es ist schade, dass aufgrund der langsam in Fahrt kommenden Story viele Spieler LA Noire wohl keine Chance gegeben haben.
Spontanadmin sagt:
23. Juli 2012
Wirklich gestört hat mich eigentlich nur die fehlende Wahl, wie ich Verdächtige stelle. Gerade in den Nebenquests fand ich es ziemlich daneben, dass 2/3 der Täter im Sarg abtransportiert wurden. Und diese optionalen Sammelaufgaben sind bei so einer großen Stadt ohne Walkthrough nicht zu schaffen. Ich hab gerade mal eine Marke und eine Filmrolle durch Zufall gefunden – die Zeitungen zählen nicht, da die erzählerisches Stilmittel sind. Für die seltenen Autos gibt es ja dankenswerter Weise Marker auf der Karte…
Genesis sagt:
23. Juli 2012
Da stimme ich dir zu. Das war dann doch etwas störend.
Und die Nebenquests interessieren mich eigentlich nicht. Hab auch nur eine Rolle und 2 oder 3 Marken gefunden glaub ich.
Die Autos hingegen fand ich ziemlich cool. Vorallem weil ich ja auf solche Oldtimer stehe und die mir lieber sind als die meisten Fahrzeuge in GTA4^^
Beyond: Two Souls vs. Heavy Rain – Ein Vergleich | Spontanbesorger sagt:
15. Oktober 2013
[…] auch als Vorlage für das digitale Ebenbild oder haben per Motion Capturing ganze Szenen gespielt. L.A. Noir gehört mit seinem Fokus auf die Mimik der Charaktere wohl zu den bisher herausragendsten […]