In den letzten Tagen habe ich viel über das neue Quantic Dream Spiel Beyond: Two Souls gelesen. Neben diversen durchaus sachlichen Diskussionen über Storytelling, technische Qualität und „ist das noch ein Spiel?“ ist mir eines recht sauer aufgestoßen: Der Zwang ein solches Spiel in eine Wertungsskala zu pressen. Das ist schon bei Standardspielen beliebiger Genres schwierig genug und im Zweifelsfall immer eine subjektive Sache des Rezensenten, aber bei Beyond ist es schlicht nicht machbar. Aus meiner Sicht sollte über jeder Review folgender Satz stehen:
Wenn dir Heavy Rain gefallen hat, wird dir auch Beyond: Two Souls gefallen!
Warum? Heavy Rain ist das einzige digitale Werk, welches mit Beyond in allen Aspekten vergleichbar wäre und somit auch der einzige Maßstab, den man für eine Bewertung anlegen kann.
Die Story
Beyond: Two Souls: Das Spiel erzählt die Geschichte von Jodie, die seit ihrer Geburt mit einem unsichtbaren Geisterwesen verbunden ist. Dieses Wesen namens Aiden kommuniziert mit Jodie und kann die Umwelt sowie andere Menschen einem Poltergeist gleich beeinflussen. Die Geschichte umfasst Episoden aus allen von Jodies Lebensabschnitten – von einer Kindheit im Labor bis hin zum Staatsdienst und seinen Folgen – und werden in nicht chronologischer Reihenfolge erzählt. Der eigentliche Plott erschließt sich erst nach und nach und die Spannung entsteht durch die Neugier, was Jodie in ihrem Leben widerfahren ist, um es zur gerade erlebten Episode kommen zu lassen. Die jeweiligen Puzzlestücke fallen nach und nach an ihren Platz und lassen erst gegen Ende das große Ganze erkennen.
Heavy Rain: Hier ist die Erzählweise noch völlig anders. Von kleinen Zeitsprüngen durch Flashbacks abgesehen, wird bei Heavy Rain die Geschichte eines Kind-Serienmörders in chronologischer Reihenfolge aus der Sicht von vier Personen erzählt, die auf verschiedene Art und Weise mit dem aktuellen Fall verbunden sind. Jede Figur wird gleichermaßen durch einzelne Episoden gesteuert und trägt seinen Teil zur Entwicklung der Geschichte bei. Anders als bei BTS wird hier eine Kriminalgeschichte in mehreren Akten erzählt, die auf einen eindeutigen Höhepunkt hinarbeitet. Die Spannung entsteht aus den Fragen, wer der Mörder ist, wer ihn erwischt oder ob er mit seinen Taten weiterhin durchkommt.
Gemeinsamkeiten: In beiden Spielen stehen die Charakterentwicklung und die Emotionen klar im Fokus. Jeder Charakter hat seine eigene Geschichte, Motivation und auch menschliche Makel. Es fällt leicht sich mit einer oder mehreren Figuren zu identifizieren und in den emotionalen Strudel hineingezogen zu werden.
Unterschiede: Eine der Hauptfaszinationen von Heavy Rain ist das Prinzip von Ursache und Effekt. Die Charaktere werden in verschiedene Situationen geworfen, die der Spieler irgendwie lösen muss. Es gibt verschiedene Lösungsansätze und auch Möglichkeiten Fehler zu machen, wodurch ein Hauptcharakter den optimalen Weg verlassen oder sogar sterben kann. Jede Spielbewegung kann sich im Großen oder Kleinen auf die gesamte Geschichte auswirken. BTS fehlt diese Freiheit. Innerhalb einer Episode können zwar mal mehr und mal weniger Optionen gewählt und Entscheidungen getroffen werden, aber sie wirken sich nur im geringen Grad auf den weiteren Verlauf der Episode aus. Auswirkungen auf das große Ganze fehlen im Grunde völlig und kommen erst am Ende als „Große Entscheidung“ vor. Lediglich die Wegbegleiter von Jodie können das Leben verlieren.
Das Gameplay
Beyond: Two Souls: Man steuert die Charaktere Jodie und Aiden, sofern man bei Aiden von einem solchen sprechen kann. Jodie bewegt sich in der physikalischen Welt und kann je nach Episode mit Objekten interagieren, mit Personen sprechen oder im beschränkten Maß das aktuelle Areal abschreiten. Aiden kann in den meisten Situationen frei übernommen werden und man wechselt in eine schwebende Perspektive, während Jodie an ihrem Platz stehen bleibt. Als Aiden kann man durch Wände und Decken schweben, Objekten einen „Schubs“ geben und Personen übernehmen oder würgen. Die jeweiligen Möglichkeiten sind nur in Abhängigkeit der Geschichte möglich, was bedeutet, dass man Objekte und Personen nur dann beeinflussen kann, wenn es das Storytelling erfordert. Ein amoklaufender Aiden ist in den meisten Fällen nicht möglich. Die Steuerung der Interaktionen ist stark vereinfacht, was es einfach macht der Handlung zu folgen.
Heavy Rain: Auch Heavy Rain beschränkt sich darauf die Charaktere mit der Umwelt interagieren zu lassen. Tastenkombinationen, mehr oder weniger intuitive zur jeweiligen Aktion passende Bewegungen mit den Analogsticks und QTEs gehören zu den wichtigsten Steuerelementen. In manchen Abschnitten dürfen zudem kleine Kombinationsrätsel gelöst werden und Tatorte untersucht werden.
Gemeinsamkeiten: Beide Spiele legen mehr wert auf das, was man sieht und weniger auf das was man macht. Es ist keine spielerische Herausforderung bis zum Abspann zu gelangen und das Gameplay dient viel mehr dazu den Spieler mehr an die Charaktere zu binden und unter Umständen eine Situtation so zu ändern, wie man es für die jeweilige Person gerade am liebsten hätte.
Unterschiede: Das Gameplay von BTS ist wesentlich reduzierter, als man es noch bei Heavy Rain erlebt hat. In den meisten Fällen reicht eine unbestimmte Bewegung mit dem rechten Stick, um eine Aktion zu triggern. Kompliziertes Tastendrücken kommt nur selten vor, während QTEs intuitiv gestaltet sind. Heavy Rain zeigt gerade in hektischen Situationen Anweisungen wie „rechts, rechts, links, Dreieck“, was den Spieler vor das Problem stellt entweder dem „Film“ zu folgen oder sich auf die Anweisungen zu konzentrieren. Beyond beschränkt sich bei den QTEs auf Jodies Bewegungen, die man während einer kurzen Zeitlupe antizipieren muss, um gemäß der angedeuteten Körperhaltung die Bewegungsrichtung auszuwählen.
Ein weiterer Unterschied ist das Zwischenspiel von Jodie und Aiden. Als Spieler kann man stets zwischen den beiden wechseln, um nach Interaktionsmöglichkeiten zu suchen. Als besonderer Kniff kann man aber auch zu zweit spielen und die Rollen entsprechend aufteilen. Übergibt Jodie die Kontrolle an Aiden, übernimmt der andere Spieler und bleibt solange am Drücker, bis dieser wieder an Jodie übergibt. Erstaunlicherweise macht das sogar Spaß und passt wunderbar in das Spielerlebnis, da Jodie und Aiden zwar eine Einheit, aber doch zwei verschiedene Charaktere sind. Diskussionen mit dem Spielpartner endlich die Kontrolle wieder abzugeben, spiegeln diese Verbindung hervorragend wieder.
Glücklicherweise verzichtet man bei Beyond auf die leidige Move-Steuerung, die man Heavy Rain nachträglich als Option aufgepatcht hat. Dafür kann man aber per Smartphone-App steuern, was für Gelegenheitsspieler mit nur einem Controller, aber einem potentiellen zweiten Spieler wirklich interessant ist. Wegen der einfachen Steuerung geht das Wischen und Tippen über das Smartphone auch leicht von der Hand. Man braucht nur die PS3 und das Smartphone im Heimnetzwerk, die App und man kann loslegen. Diese Steuerung eignet sich jedoch eher für Aiden, da seine Bewegungen weniger komplex sind.
Beyond hat allerdings auch ein Problem während der frei steuerbaren Abschnitte. Jodie lässt sich teils nur bockig steuern und die Figur reagiert nicht so schnell oder genau, wie man es eingibt. Die Steuerung kann zwar angepasst werden, und auch wenn es nie zu provozierten Fehlern durch die schlechte Steuerung kommt, kann es ein wenig die Atmosphäre zerstören. Heavy Rain war zwar auch nicht gerade ein Steuerungstraum, lief aber doch um einiges flüssiger.
Die Schauspieler
Beyond: Two Souls: Es ist nicht das erste Mal, dass namhafte Schauspieler für Videospiele verpflichtet wurden. Neben immer wieder gerne gesehenen/gehörten Auftritten als Synchronsprecher, dienten einige auch als Vorlage für das digitale Ebenbild oder haben per Motion Capturing ganze Szenen gespielt. L.A. Noir gehört mit seinem Fokus auf die Mimik der Charaktere wohl zu den bisher herausragendsten Vertreten. Beyond legt noch eine Schippe drauf und bietet mit Ellen Page und Willem Dafoe gleich zwei Hochkaräter zweier Generationen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Spielen wurden hier allerdings alle Abschnitte gespielt und anschließend digital verarbeitet, da es quasi keine Action-Sequenzen gibt. Die Leistung der Schauspieler ist über jeden Zweifel erhaben und man merkt, dass hier echte Hollywood-Profis am Werk waren. Dank aktueller Technik geht auch nichts der Leistung verloren, sieht man doch in jeder Situation noch den kleinsten Gesichtsmuskel, der ein Lächeln oder einen Ausraster ankündigt.
Heavy Rain: Hier kommt man ohne namhafte Schauspieler aus, was die Leistung nicht schlechter macht. Aber so beeindruckend Heavy Rain vor einigen Jahren mit der Darstellung von Mimik und natürlichen Bewegungen war, fällt es im Vergleich zu Beyond doch ab. Den Figuren fehlt einfach das gewisse Etwas, um mich davon zu überzeugen digitale Schauspieler zu sehen.
Gemeinsamkeiten: Realismus, so weit es das Entstehungsjahr zulässt. In beiden Spielen werden Schauspieler eingesetzt, die mit ihrer Leistung die nötige Glaubwürdigkeit injizieren.
Unterschiede: Auch wenn Beyond die neue Referenz für realistische Menschendarstellung ist, ist man vom Fotorealismus nachwie vor weit entfernt. Nichts desto trotz ist man beeindruckt, wie viele Details die Charaktermodelle besitzen und wie sehr die Profis die Geschichte tragen. Insbesondere Ellen Page vermittelt die Einsamkeit und Hilflosigkeit in ihrer Situation trotz der scheinbaren Macht grandios. Bei Heavy Rain sind die Schauspieler eher Mittel zum Zweck. Sie vermitteln ebenfalls starke Emotionen und machen die Geschichte glaubwürdig, stehen aber nicht so sehr im Fokus wie Page, was nicht zuletzt am Fehlen einer echten Hauptrolle in Heavy Rain liegt.
Die Musik
Quantic Dreams gehört zu den Studios, die schon früh verstanden haben, dass eine emotionale Geschichte nur mit einer entsprechenden Musik funktioniert. Bereits in Fahrenheit brachte die Musik einen Hauch von Hollywood auf die Konsolen.
Heavy Rain: Normand Corbeil schuf mit dem Soundtrack von Heavy Rain ein Meisterwerk. Tragende Passagen mit Streichern und Piano, hektisch-peitschende Stücke mit einem vollen Orchester und Charakter Themes, die innere Zerissenheit, bedingungslose Hingabe und auch Zweifel immer ahnen lassen. Jedes Stück ist immer passend zur Szene, kann aber auch von sämtlichen Bildern losgelöst genossen werden. Dieser Soundtrack spielt in der obersten Liga der Spiel- und Filmmusik.
Beyond: Two Souls: Auch hier hatte Normand Corbeil den Auftrag die Musik beizusteuern, doch leider ist er bereits im Frühjahr 2013 verstorben und konnte das Werk nicht vollenden. Eingesprungen sind dann Hans Zimmer und Lorne Balfe, die Hollywood und Gaming kombinieren, dabei aber Corbeis ersten Ideen treu bleiben. Die Handschrift von Zimmer ist allerdings nicht zu leugnen, blitzen doch immer wieder Sounds aus Last Samurai und Inception durch. Da Beyond ein nicht ganz weltliches Thema hat und auch einen Hauch Science Fiction mitbringt, klingen einige Passagen etwas sphärischer und arbeiten wohl dosiert mit dezenten akkustischen Effekten.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede machen hier keinen Sinn. Beide Soundtracks sind hervorragend, hollywoodreif und bieten die breite Palette von Melancholie bis Adrenalin. Fans von Hans Zimmer Scores fühlen sich bei Beyond sofort zu Hause, aber die Musik von Heavy Rain ist ohne diese Signatur keinesfalls weniger wert.
Fazit
Sowohl Heavy Rain, als auch Beyond: Two Souls sind Meilensteine der Videospiel-Geschichte. Beide erzählen eine bewegende Geschichte und führen den Spieler auf eine Reise, die man sicher nicht mehr vergisst. Dabei spielt es in meinen Augen keine Rolle, ob man mehr einen Film sieht oder ob man in Daueraktion ist. Diese Form der digitalen Unterhaltung wird noch für lange Zeit ein Nischendasein fristen, wird aber mittelfristig ein fester Teil der medialen Massenunterhaltung werden.
Für mich bleibt aber Heavy Rain doch noch das minimal bessere Spiel, da hier die Bindung zu den Charakteren und der Geschichte als solche viel intensiver ist. Beyond fehlt schlicht die Freiheit der Konsequenzen und bleibt mit seiner Geschichte weitestgehend starr in seinem Korsett, nimmt den Spieler aber auch auf eine etwas andere Art der Reise mit. Machen Entscheidungen nur Nuancen innerhalb einzelner Episoden aus, hat man am Ende die Freiheit zu entscheiden, wie es mit Jodie und Aiden weitergehen soll. Diese Freiheit fehlt bei Heavy Rain, da man dort mit der Summe aller Entscheidungen leben muss. Als PS3-Besitzer sind beide Titel Pflicht und brauchen einen festen Platz in der persönlichen Spielbibliothek.
Genesis sagt:
19. November 2013
Wow. Wirklich ein toller Beitrag. Und eine richtig schöne, interessante und vor allem sinnvolle Idee den direkten Vergleich zu Heavy Rain zu ziehen. Auch mich haben beide Titel (und auch Fahrenheit) wahnsinnig fasziniert. Beides grandiose Spiele. Habe Beyond erst kürzlich zu Ende gespielt und sofort nochmal los gelegt
Beim Fazit schließe ich mich dir an. Auch mir gefiel Heavy Rain doch ein kleines bisschen besser, da die Entscheidungen wirklich großen Einfluss hatten und so unzählige neue und vielfältige Situationen erschaffen wurden. Aus meinem Bekanntenkreis hat jeder Gamer Heavy Rain gezockt und immer wieder entstanden somit die typischen: „und was ist bei dir passiert?“ oder „hast du auch?“-Momente. Grandios! Soetwas fahlt mir leider etwas bei Beyond. Nichts desto trotz ein fantastisches Videospiel, das seinen wohlverdienten Platz in meiner Spielesammlung hat.
Übrigens habe ich selbst grad noch einen kleinen Artikel zu Beyond in der Leitung. 😉
Visual Noise sagt:
3. Mai 2014
Habe Beyond durch um es ist die erste Spielerfahrung mit diesem neu geschaffenen Genre!
Vorweg… Dieser Beitrag ist der erste der Beyond wirklich objektiv betrachtet hat!
Nach (meinem) Ende wollte ich Erfahrungen anderer Spieler anschauen – Was meist im Desaster endete… Reviews undurchsichtig, empathielos und irgendwie leer…
Manchmal habe ich mich gefragt ob ich nicht doch ein ganz anderes Spiel spielen würde!? (Und ich bin leidenschaftlicher Langzeit-Rollenspiel-Zocker der „Alten Generation“!? XD )
Großartiger Beitrag und gutes Comment – Danke, ich bin nun mehr als gespannt auf Heavy Rain!!!