Rollenspiele für die XBox waren seiner Zeit leider Mangelware. Japanische Entwickler scheuten sich der Westkonsole die entsprechende Zeit zu widmen und der Rest der Welt spezialisierte sich bevorzugt auf Spiele actionreicherer Genres oder setzte auf bekannte Serien und Lizenzen. Da war es umso erfreulicher, dass die Jungs und Mädels von Bioware trotz bekannter Marktinteressen ein Herz für die Rollenspieler mit Konsole hatten.
China! Nein, doch nicht…
Jade Empire ist in einer Welt angesiedelt, die eine Mischung aus Geschichte und Mythos des alten Chinas zu sein scheint. Das sogenannte „Jadereich“ präsentiert sich mit Gebäuden wie Pagoden, Teehäusern und Schreinen, asiatischen Architekturen bei Palästen und Festungen, sowie Charakteren mit fernöstlich anmutenden Namen wie „Weiter Himmel“ oder „Jen Zu, die Strahlende“. Am markantesten ist dabei das alles dominierende Martial Arts Thema. Dutzende erlernbare Kampfstile, weise Philosophien und klassische Nahkampfwaffen wie Kampfstab und Schwert prägen dem Spiel den letzten Hauch des chinesischen Ambientes auf.
In dieser Welt übernimmt man die Kontrolle über einen Schüler der fernöstlichen Kampfsportarten, der kurz vor dem Ende seiner Ausbildung steht. Während man als des Meisters bester Schüler auf einer wichtigen Mission unterwegs ist, wird ohne Vorwarnung die Schule und das angeschlossene Dorf von den gefürchteten Lotus Assasinen angegriffen. Dieser Angriff wirft viele Fragen auf: Wer sind die Lotus Assasinen, warum greifen sie ein kleines Dorf an und wohin ist der ehrwürdige Meister verschwunden? Um diesen und anderen Fragen auf den Grund zu gehen macht ihr euch auf die Reise durch das Jadereich, trefft auf potentielle Gefährten und Bösewichte, verfeinert die eigene Kampftechnik und entscheidet von Fall zu Fall, ob ihr den selbstlosen Weg der Offenen Faust oder den eigennützigen Weg der Geschlossenen Faust beschreitet. Eure Gefährten warten alle mit ihren eigenen Geschichten und Geheimnissen auf, die es zu ergründen gilt und ihrerseits weitere Puzzlestücke des Gesamtbildes liefern. Sind die Begleiter alle vertrauenswürdig oder liegt Verrat in der Luft? Erhält man uneingeschränkte Unterstützung zu jeder getroffenen Entscheidung oder isoliert man sich von der Gruppe? Entwickelt sich eine Romanze zwischen Protagonist/-in und Gefolgsmann/-frau? Alles in allem also ein typischer Bioware-Titel mit allen Elementen, die man auch heute noch in Spielen wie Mass Effect oder Dragon Age: Origins findet.
Was trainieren wir? Den Weg der Faust!
Um eine solche Geschichte zu erzählen bietet sich natürlich ein klassisches Rollenspiel an. Bioware ist allerdings einen etwas anderen Weg gegangen und hat dabei die langjährige Erfahrung mit ungewohnten Elementen verbunden. Genre typisch beginnt man mit der Auswahl seines Avatars. Dazu stehen fünf Charaktere zur Auswahl, die ganz individuelle Stärken, Schwächen und Kampfstile besitzen. Generell können dabei aber sämtliche Eigenschaften – bis auf die äußere Erscheinung – auf die eigenen Vorlieben abgestimmt werden.
Die Spiel- und Charakterverwaltung wird den erfahrenen Spielern aus Knights of the Old Republic oder Neverwinter Nights bekannt vorkommen. So kann man generelle Spieleinstellungen vornehmen, vergangene Unterhaltungen nachlesen oder den Stand der aktuellen Aufgaben im Questbook kontrollieren. Natürlich werden hier auch die erhaltenen Erfahrungspunkte auf diverse Eigenschaften verteilt. Genau an diesem Punkt sieht man dann einen der markanteren Unterschiede gegenüber älterer Spiele. Es gibt zweierlei Arten von Erfahrungspunkten: Charakterpunkte und Technikpunkte. Der Charakter wird dabei lediglich über Körperkraft, Chi (Magiefertigkeit) und Fokus (Geschicklichkeit) definiert. Die eigentliche, Rollenspiel-typische Entwicklung findet über die erlernbaren Kampfstile statt. Hier unterscheidet man Waffenstile, waffenlose Stile, Elementarmagie, Unterstützungstechniken und Verwandlungszauber. Mit jedem Levelaufstieg können die Technikpunkte auf erlernte Stile verteilt werden und damit seine Spielfigur zu einem Allrounder in allen oder zu einem Spezialisten in wenigen Techniken machen. Da man während seiner Reise immer wieder Neues erlernt und in den verschiedenen Kampfsituationen auf unterschiedliche Stärken setzen muss, ist hier das Kernstück der Rollenspielelemente verankert.
Das eigentliche Spielgeschehen präsentiert sich entsprechend actionreich. Um die Stile zur vollen Geltung zu bringen, wurde zu Gunsten dynamischer Fights auf ein rundenbasiertes Kampfsystem verzichtet. Das hat Bioware wohl so gut gefallen, dass später nie wieder ein Rundensystem zum Einsatz kam. Einmal mit einem Gegner konfrontiert kann man sich in bester Brawlermanier erwehren, ohne dabei mit komplizierten Kombinationen behindert zu werden: Eine Taste zur Abwehr, der Rest für verschiedene Angriffe. In der Regel kämpft ihr gemeinsam mit einem eurer Gefährten, doch bei den meisten Gegnern macht es mehr Sinn euch mental von ihm unterstützen zu lassen. So kann euer Partner beispielsweise kontinuierlich das Gesundheitskonto im grünen Bereich halten oder etwa eure waffenlosen Angriffe verstärken. Herausfordernd ist viel mehr die Wahl der geeigneten Technik. Während des Kampfes kann dazu jeder Zeit zwischen den Stilen gewechselt werden. Dazu legt man bis zu vier der bevorzugten Stile auf das Steuerkreuz, aus denen ohne Zeitverzögerung ausgewählt werden kann. Sollten sich alle vier Stile als ineffektiv erweisen, kann diese Konfiguration schnell geändert werden. Insgesamt läuft das Spiel trotz der Kämpfe recht unblutig ab, es sei denn euch gelingt eine „Harmonische Kombination“. Mit einer solchen lassen sich durchschnittliche Gegner sofort eliminieren. Je nach Gegnertyp kann man dann schon mal in einer roten Fontaine stehen. Kämpfen ist der Dreh- und Angelpunkt von Jade Empire, aber es liegt am eingeschlagenen Weg wie oft und wie brutal der Spieler kämpft. Viele Aufgaben lassen sich auch ohne Kampf lösen – doch dazu später mehr.
Die Geschichte kommt bei all den Kämpfen nicht zu kurz. Zwischen den Actionsequenzen spricht man mit den Gefährten, diversen Stadtbewohnern, Händlern, Banditen und so weiter. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen oder wartet mit einer Aufgabe auf euch. Das Stichwort lautet dabei „Sidequests“. Kaum ein westliches Spiel dieser Zeit bietet eine solche Vielzahl an offensichtlichen und nebensächlichen Aufgaben: Helft einer Theatertruppe aus, übernehmt dabei eine tragende Rolle in ihrem Stück und bemüht euch dabei das Stück entweder zum Erfolg zu verhelfen oder den Autor als Staatsfeind zu diskreditieren. Beeindruckt einen alten Meister, damit er euch eine neue Technik beibringt oder fliegt im Ikagura-Stil mit eurer Flugmaschine durch Heerscharen von Feinden und erfüllt dabei einen Botenauftrag. Gerade während der ersten 3 Kapitel gibt es so viele Aufgaben zu erledigen, dass ihr stundenlang die eigentliche Handlung nicht ein Stück weiter führt. Natürlich sind diese Quests freiwillig, aber gerade die machen ein wirklich gutes RPG eben aus!
Aufgaben und Gespräche können dabei immer auf mindestens drei unterschiedliche Weisen gelöst werden. Verbale oder brachiale Gewalt bieten immer den einfachsten Weg, aber auch Diplomatie oder Hinterlist führen zum Erfolg. Es gibt zwar keinen falschen Lösungsweg, aber jede Entscheidung wirkt sich auf den Charakter aus. Handelt man stets selbstlos und tritt für die Gerechtigkeit ein sammelt man damit positive Punkte, ist man dagegen egoistisch oder hilft den falschen Leuten aus selbstsüchtigen Motiven geht es in die entgegen gesetzte Richtung. Diese Entscheidungen beeinflussen dabei den Ausgang der Geschichte, die in bis zu fünf verschiedene Enden gipfelt.
Selten hat die XBox eine solch schöne Grafik gesehen und ganz sicher sah kein westliches RPG für eine Spielkonsole bis dahin so gut aus. Es scheint, als wäre jeder Grashalm einzeln animiert und kleine Wasserfälle sind für die damalige Zeit sehr detailiert. Kleinigkeiten wie umher fliegende Schmetterlinge, im Wind schaukelnde Lampions oder umherlaufende Menschen hauchen dem Setting Leben ein. Die Hauptcharaktere wurden dabei mit viel Liebe zum Detail modelliert. Kleidung flattert im Wind, die Klinge eines Schwertes reflektiert die tief stehende Sonne und Gesichter sind so individuell, dass keine Verwechslungen möglich sind. Bei Passanten und Nebenfiguren muss man dagegen Abstriche machen – insbesondere Gesichter wiederholen sich dann und wann – aber davon abgesehen gibt es wenig zu mäkeln. Die eingangs erwähnten Gebäude, wie das für Hongkong-Filme obligatorische Teehaus, bilden mit ihrer Detailfreude und feinen Texturen den runden Abschluss des Gesamtbildes.
Der Soundtrack hat sich ebenfalls gewaschen. Wer auf eben diese alten Hongkong-Schinken steht, wird sich hier sofort zu Hause fühlen, denn die Musik bietet eine gesunde Mischung aus traditioneller, sphärischer, chinesischer Musik und typischer, westlich angehauchter Filmmusik. Eine leise spielende Zither im Heimatdorf ist genauso vertreten wie die japanischen Odaiko-Trommeln während eines Kampfes – ein Fest für die Ohren. Das Rauschen eines Flusses, betriebsames Gemurmel in der Hauptstadt und natürlich das Klingen aufeinanderprallender Schwerter sind dabei wie selbstverständlich.
Natürlich besitzt das Spiel 100%ige Sprachausgabe. Bioware hat sich sogar die Arbeit gemacht das gesamte Spiel einzudeutschen – und das nicht mal schlecht. Die deutsche Version scheint mir zwar nicht ganz an das Original heranzukommen – John Cleese (bekannt aus Monty Python) als Stimme des arroganten westlichen Barbars ist ein wahre Freude – aber ohne einen direkten Vergleich hört es sich wirklich sehr gut an.
Lohnt sich auch heute noch
Kaum zu glauben, aber unter Spielern wurde 2005 heftig diskutiert, ob es sich hier wirklich um ein RPG handelt. Vielen erschien die Charakterentwicklung als zu kurz gekommen und letztlich wird sehr viel gekämpft. Dazu kann man eigentlich nur sagen, dass es sich um ein waschechtes RPG handelt, das ein wenig die Grenzen verwischt. Es ist richtig, dass dem Charakter nicht viele Eigenschaften zugewiesen werden können. Der wahre RPG-Anteil entfaltet sich dagegen bei den Kampfstilen, da es bis zu 40 verschiedene Techniken zu erlernen und zu verbessern gilt. Das Spiel ist damit ein Pflichtkauf für Spieler, die gerne ausgefeilte Geschichten in ihren Games erzählt bekommen wollen und Spaß daran haben viele Lösungswege auszuprobieren – eben typisch Bioware. Die Spielzeit für das erste Durchspielen liegt „nur“ bei 30 Stunden – bei 20-25 Stunden, sofern man Dialoge überspringt oder Sidequests auslässt. Dieser Umfang geht aber absolut in Ordnung wenn man bedenkt, dass man im Anschluss „den anderen Weg“ mit einem anderen Charakter spielen kann.
Jade Empire ist voll kompatibel zur XBox 360. Neben der Download-Version funktioniert also auch die originale Disk-Version der XBox. Sogar der zusätzliche Charakter der Limited Edition lässt sich auf der XBox 360 installieren. So ganz nebenbei ist das Spiel auch für den PC erschienen 🙂 Wer auf Rollenspiele steht, die mehr als Hack&Slay bieten, muss hier auch heute noch zugreifen.
Im Twitterprofil von Hideo Kojima sagt der Spieldesigner über sich sein Körper wäre zu 70% aus Filmen gemacht. Wer seine Spiele gespielt hat hinterfragt diese Aussage keine Sekunde lang, denn ausufernde Gespräche über Godzilla zwischen Mei Ling und Snake in Metal Gear Solid, das James Bond Intro von MGS3 – Snake Eater und unzählige offensichtliche und versteckte Kreuzverweise auf diverse Filmklassiker sind unumstößlich feste Bestandteile eines „echten Kojimas“. Das Spiel Snatcher, welches unter anderem für Segas Mega-CD erschien, ist da keine Ausnahme, ist es doch über weite Teile schon fast eine Hommage an den Cyberpunk-Meilenstein Blade Runner. So ganz nebenbei ist Snatcher auch eines meiner ewigen Lieblingsspiele.
Liebeserklärung an Cyberpunk
Die Parallelen zu Blade Runner werden schon während des Vorspanns deutlich. Eine futuristische Skyline, umhergleitende Fahrzeuge und verschiedenste Charaktere sind zu sehen und wir erfahren, um was es in diesem Spiel eigentlich geht. In der Mitte des 21sten Jahrhundert existiert eine neue Bedrohung für die Gesellschaft: Androiden, sogenannte Snatcher, töten Menschen und nehmen unerkannt deren Stelle ein. Niemand kennt ihren Ursprung, geschweige denn das Ziel der Snatcher, aber man ist sich sicher diese Bedrohung bekämpfen zu müssen. Zu diesem Zweck wurde die Special Force J.U.N.K.E.R. etabliert, die ausschließlich für das Jagen und Eleminieren von Snatchern zuständig ist. Das jüngste Mitglied auf der Position des Runners (!) dieser Einheit ist Gillian Seed, der gemeinsam mit seiner Ex-Ehefrau Jaimie unter mysteriösen Umständen aufgefunden wurde. Beide leiden unter Amnesie und können sich an nichts erinnern, was vor ihrem Auffinden geschah. Das Spiel beginnt an Gillians erstem Tag in den Junker-Headquarters.
Diese ersten Minuten laufen zwar in animierten Bitmap-Grafiken ab, sind aber durch den Ton und die Musik direkt von CD schon so packend, dass man sofort in die Welt von Snatcher hineingezogen wird. Der Umstand, dass diese Minuten zwei Science Fiction Klassiker – Blade Runner und The Body Snatchers – miteinander vermischen und dass einer der ältesten Kniffe der Unterhaltungsindustrie dem Protagonisten das Gedächnis zu nehmen verwendet wird, stört dabei keine Sekunde.
Intro von „Snatcher“
Grafic Novel oder Game?
Snatcher spielt sich fast wie ein Point & Click. Als „Runner“ ist man die meiste Zeit damit beschäftigt verschiedene Orte aufzusuchen, diese zu untersuchen und mit dort anwesenden Personen zu sprechen. Befehle wie „Look“, „Investigate“, „Take“ oder „Use“ sind allgegenwärtig und dürften jedem älteren Spieler bekannt sein. Dabei unterscheidet sich Snatcher allerdings von anderen P&Cs hauptsächlich im Ablauf der Geschichte. Stolpert man durch andere Adventures, indem man 100 Mal zwischen wenigen Orten pendelt um ständig neue Kombinationen mit Gegenständen auszuprobieren, bleibt Snatcher weitestgehend linear. Man sucht zwar auch immer wieder nach bestimmten Schlüsselelementen, wird aber unmittelbar mit einer dadurch getriggerten neuen Szene, die die Story vorantreibt, belohnt. So entsteht eine homogene Mischung aus Spiel und Grafic Novel, die dem Spieler den Controller quasi an die Hand tackert. Man will einfach ständig wissen wie es weitergeht und genießt währenddessen die Show.
Es wäre kein „Hideo Kojima“, wenn es neben der Ehrerbietung gegenüber diverser Klassiker keine Querverweise auf eigene Werke vorhanden wären. So hat Gillian einen mechanischen Sidekick namens Metal Gear Mk. II, der dem großen Mech und Gegner von Snake sehr ähnlich sieht, aber nur 40 cm groß ist. Der Mechaniker, der Metal Gear gebaut hat, erklärt das Design und den Namen mit seiner Liebe zu einem der größten Spiele seiner Kindheit. Dieser kleine Roboter ist dann auch für viele lustige Dialoge und spitze Bemerkungen verantwortlich, die das oberste Sahnehäubchen des Spiels darstellen.
Alt, aber oho
Snatcher ist alt, keine Frage. Zumindest die Mega-CD Version stammt aus der Zeit, in der 16-Bit Grafiken von Polygonen abgelöst wurden und Systeme wie Playstation oder Saturn das nächste Zeitalter des Videospiels einläuteten. Nichts desto trotz sorgen viele Details dafür, dass das Spiel nicht veraltet wirkt. Alle Schlüsselsequenzen entsprechen dem grafischen Stil des eigentlichen Spiels, werden aber komplett von CD inklusive Sprachausgabe untermalt. Die Standbilder und spärlich animierten Szenen fallen dadurch kaum negativ auf. Und reicht die Technik einfach nicht mehr aus, wird der Spieler einfach aktiv mit ins Boot geholt. Das beste Beispiel dafür ist eine meiner Lieblingsszenen im ganzen Spiel (Achtung: Spoiler und ggfs. Absatz überspringen!):
In einer frühen Szene untersucht man eine verlassene Fabrik und findet den zerstörten Sidekick eines vermissten Runners. Metal Gear glaubt etwas zu hören, aber da Gillian nichts hört schlägt er vor den Fernseher (!) lauter zu machen. Dreht man nun als Spieler die Lautstärke hoch, nimmt man tatsächlich ein leises Piepen war. Es folgen ein paar Fetzen Dialog und plötzlich stellt man fest, dass das Piepen allmählich lauter wird. Man nimmt die Beine in die Hand, es macht Booom! und da man natürlich die Lautstärke nicht wieder heruntergedreht hat, wackelt die eigene Bude. Der folgende Dialog bringt es dann auch auf den Punkt:
Gillian: Man, my ears are really ringing!
Metal Gear: That’s because you left the Volume turned up.
Pflichtkauf
Das Mega-CD war nicht gerade der große Wurf für SEGA und die wenigen Spiele für dieses System sind in der Regel auch nicht weiter der Rede wert. Ausnahmen wie Dune oder eben Snatcher sollte aber jeder Gamer, der an alten Perlen interessiert ist, sein eigen nennen. Von der Geschichte her dürfte Snatcher das beste sein, was Kojima jemals digitalisiert hat. Umso verwunderlicher ist, dass es scheinbar keinerlei Pläne gibt dieses Spiel in die aktuelle Generation zu katapultieren. Es wäre sicher eine Herausfoderungen aus diesem Spielkonzept etwas zu kreieren, was auf dem heutigen Spielemarkt bestehen könnte, aber wenn Hideo Kojima die Sache anpacken würde, könnte eigentlich nichts daneben gehen.
Fumito Ueda hat mit Shadow of the Colossus und ICO zwei ungewöhnliche Spiele geschaffen, die sowohl grafisch als auch atmosphärisch so einzigartig waren, dass sie seiner Zeit die Spielerschaft gespalten haben. Jetzt sind beide Spiele als HD-Remakes für die PS3 erschienen, um auch die Spieler der aktuellen Generation in zwei Hälften aufzuteilen. Das ist Grund genug die Spiele genauer zu betrachten und da ICO das ältere Spiel ist, fange ich auch damit an.
Grafikvergleich beider Spiele auf PS2 und PS3
Die Schöne und das Biest
Das Spiel erzählt uns die Geschichte eines gehörnten Jungen namens Ico, der von seinen Mitmenschen aus der Heimat verbannt und in eine Festung eingesperrt wird. Kinder mit Hörnern gelten in Icos Dorf seit je her als Unglücksboten und werden stets als eine Art Opfergabe in die kalten Mauern gebracht, um lebendig in steinernen Krügen „begraben“ zu werden. Selbst seine Eltern waren froh den Unheilvollen endlich los zu sein. Alleingelassen und eingesperrt harrt der Junge nun seines Schicksals, doch eben dieses beschert ihm unverhofft die vermeintliche Freiheit, da die Erschütterung der sich schließenden Mauern sein Gefängnis zerstört. Nun übernimmt der Spieler die Kontrolle und stellt schnell fest, dass die Festung selbst das eigentliche Gefängnis ist, aus dem man nun entkommen muss. Kurz nach der trügerischen Wiederherstellung der Freiheit lauft ihr einem weiteren Gefangenen über den Weg: der gebrechlich wirkenden Yorda. Da sie leider nicht eurer Sprache mächtig ist und sie überaus hilflos zu sein scheint beschließt Ico kurz entschlossen sie buchstäblich bei der Hand zu nehmen und sie aus dem gemeinsamen Gefängnis zur Flucht zu führen.
Folge mir
Man kann ICO wohl am ehesten als ruhiges Action-Adventure bezeichnen. Es gilt anfangs wenig komplexe Schieberätsel zu lösen und hin und wieder auftauchende Schattenwesen zu bekämpfen. Der Clou dieses Spiels ist es die gigantische Umgebung des Gemäuers zu erfassen, die Übersicht zu gewinnen und alle relevanten Elemente des Rätsels zu finden. Die wichtigste Zutat ist die ständige Präsenz Yordas. Sie ist schwach, scheint auf einem Bein zu humpeln und muss ständig mitgeschleift werden – und das ist wörtlich zu verstehen. Spielerisch wird Yorda mit der R2-Taste an der Hand genommen und durch die Areale gezerrt. Lasst ihr sie los bleibt sie zunächst stehen und wandert nach kurzer Zeit verträumt durch den Raum. Seid ihr weiter von ihr entfernt könnt ihr die Dame kurzerhand zu euch rufen. Die Vokabeln „O-Pock“ (komm her) und „Yada“ (ich kann nicht) werden euch in kürzester Zeit so selbstverständlich sein wie „Hallo“ oder „Hau ab“. Wie in Spielabschnitten von „Metal Gear 2“ oder „Resident Evil 4“, in denen man ebenfalls auf junge Frauen aufpassen musste, habt ihr nun die Aufgabe euren Schützling vor Angriffen zu bewahren und ihr den Weg durch das Labyrinth zu bereiten – allerdings ständig. Anders als Ico kann Yorda nämlich ohne Hilfe keine Abgründe überspringen oder an Vorsprüngen hochklettern. So seid ihr ständig damit beschäftigt für das Mädchen den richtigen Weg zu finden, Türen zu öffnen oder Zugbrücken herabzulassen. Gegner sind erfreulicherweise nicht omnipräsent, was dem Spieler viel Zeit zum Kniffeln bietet. Erfolgt aber eine Attacke der geheimnisvollen Schattenwesen ist Schnelligkeit gefragt. Die Schatten konzentrieren sich auf euren Schützling und versuchen sie in ihre Welt zu ziehen. Können die Angreifer nicht rechtzeitig vertrieben werden oder schafft ihr es nicht Yorda aus dem Portal zur anderen Welt zu ziehen erscheint der Game Over Screen. Da die Gegner mit einfachen, variationslosen Schlägen eures Stockes oder Schwertes besiegt werden können, stellt lediglich die Masse der Opponenten eine Herausforderung dar.
Knifflig wird die Steuerung erst bei den Versuchen die Übersicht zu bekommen. Ihr könnt zwar mit dem rechten Stick die Kamera drehen, seid aber auf einen Radius und einen Winkel angewiesen, der je nach Position im Raum festgelegt ist. Dies ist zwar in sofern hilfreich, unwichtige Teile des Gebiets für die Problemlösung ausschließen zu können, aber eine frei drehbare Kamera sieht anders aus. Mit diesen Einschränkungen belegt kann jetzt mit der Lösung der Rätsel begonnen werden. Dazu muss man Schalter A für Brücke B drücken, um Kiste C nach X zu schieben. Auch wenn sich das nicht aufregend anhört werden diese Rätsel mit zunehmender Spieldauer immer komplexer, was in Einzelfällen durch Probleme mit der Kollisionsabfrage zusätzlich erschwert wird. Es gilt drehende Windmühlenblätter zu erklimmen, Gewässer zu durchschwimmen und stets den alternativen Weg für Yorda zu öffnen, da sie diese Hindernisse nicht überwinden kann. Bosskämpfe sind dagegen Mangelware. Die fließend ineinander übergehenden Spielabschnitte werden zwar immer mit einem Angriff der Schatten gekrönt, variieren dabei allerdings nur in der Gegnerzahl. Lediglich gegen Ende des Spiels tretet ihr gegen einen neuen Feind an, der nur mit Taktik bezwungen werden kann.
Verträumte Welt
Es ist kaum zu glauben, dass ICO ursprünglich aus dem Jahre 2002 stammt. Die Festung wirkt in ihrer Größe und Wuchtigkeit so plastisch und erdrückend, wie es nur ein mittelalterlicher, kalter Bau sein kann. Details wie umher fliegende und landende Vögel, Schmetterlinge, regenumpeitschte Außenareale und Blicke in den Sonnenuntergang lassen kaum Wünsche an der Atmosphäre übrig. Die Charaktere sind ebenfalls mehr als gelungen. In einer Polygon- und Texturenwelt mögen Cellshadingfiguren zwar befremdlich wirken, funktionierten bei ICO aber tadellos. In der HD-Version sind beide Hauptpersonen allerdings voll ausmodelliert, was nicht weniger gut aussieht. Der Junge bewegt sich wie ein Zwölfjähriger, der ungestüm über Mauervorsprünge tobt oder auf schmalen Stegen ballanciert, während Yorda elfenhaft, aber gebrechlich, hinter euch herläuft. All diese Elemente fügen sich zu einem traumhaften Bild zusammen, welches man gerne nach jedem Detail durchsucht oder einfach nur in seiner Schönheit als Gesamtwerk bewundert.
Der Sound fügt sich nahtlos und absolut unspektakulär in dieses Gesamtbild ein. Musik erklingt eigentlich nur während der Kampfeinlagen, den spärlichen Zwischensequenzen oder in den Optionsmenüs. Ansonsten hört man lediglich die Geräusche der Umgebung und natürlich die Schritte der Protagonisten, die ständig von den Mauern widerhallen.
Noch einmal mit Gefühl
Schön, traumhaft, fair, ruhig, entspannend, rührend – all diese Assoziationen fallen spontan zu ICO ein. Dieses Spiel ist ideal für den Feierabend nach einem stressigen Tag, wenn man sich nicht abreagieren, sondern einfach nur abschalten will. Es gibt keine Zeitlimits (von gelegentlichen Angriffen auf euren Schützling mal abgesehen) und jedes Rätsel ist mit ein wenig Ruhe und Übersicht zu entschlüsseln. Das einzige Manko liegt in der kurzen Spielzeit. Zieht man Fehlversuche und Rücksetzpunkte ab bleibt eine Nettospielzeit von ca. 8-10 Stunden. Trotzdem gehört ICO zu meinen persönlichen ewigen Highlights für die PS2, der es tatsächlich würdig auf die PS3 geschafft hat. Die Punkte werden durch Atmosphäre, Liebe zum Detail und einen Schuss Gefühl eingefahren. Besonders empfehlenswert ist dieses Spiel übrigens für Spieler mit „zuschaufreudigen“ Partnern. In unserem Fall hieß es oft:“ Schalte noch mal dieses Spiel mit dem O-Pock ein. Ich will wissen wie es weiter geht.“