In den letzten Tagen habe ich viel über das neue Quantic Dream Spiel Beyond: Two Souls gelesen. Neben diversen durchaus sachlichen Diskussionen über Storytelling, technische Qualität und „ist das noch ein Spiel?“ ist mir eines recht sauer aufgestoßen: Der Zwang ein solches Spiel in eine Wertungsskala zu pressen. Das ist schon bei Standardspielen beliebiger Genres schwierig genug und im Zweifelsfall immer eine subjektive Sache des Rezensenten, aber bei Beyond ist es schlicht nicht machbar. Aus meiner Sicht sollte über jeder Review folgender Satz stehen:
Wenn dir Heavy Rain gefallen hat, wird dir auch Beyond: Two Souls gefallen!
Warum? Heavy Rain ist das einzige digitale Werk, welches mit Beyond in allen Aspekten vergleichbar wäre und somit auch der einzige Maßstab, den man für eine Bewertung anlegen kann.
Die Story
Beyond: Two Souls: Das Spiel erzählt die Geschichte von Jodie, die seit ihrer Geburt mit einem unsichtbaren Geisterwesen verbunden ist. Dieses Wesen namens Aiden kommuniziert mit Jodie und kann die Umwelt sowie andere Menschen einem Poltergeist gleich beeinflussen. Die Geschichte umfasst Episoden aus allen von Jodies Lebensabschnitten – von einer Kindheit im Labor bis hin zum Staatsdienst und seinen Folgen – und werden in nicht chronologischer Reihenfolge erzählt. Der eigentliche Plott erschließt sich erst nach und nach und die Spannung entsteht durch die Neugier, was Jodie in ihrem Leben widerfahren ist, um es zur gerade erlebten Episode kommen zu lassen. Die jeweiligen Puzzlestücke fallen nach und nach an ihren Platz und lassen erst gegen Ende das große Ganze erkennen.
Heavy Rain: Hier ist die Erzählweise noch völlig anders. Von kleinen Zeitsprüngen durch Flashbacks abgesehen, wird bei Heavy Rain die Geschichte eines Kind-Serienmörders in chronologischer Reihenfolge aus der Sicht von vier Personen erzählt, die auf verschiedene Art und Weise mit dem aktuellen Fall verbunden sind. Jede Figur wird gleichermaßen durch einzelne Episoden gesteuert und trägt seinen Teil zur Entwicklung der Geschichte bei. Anders als bei BTS wird hier eine Kriminalgeschichte in mehreren Akten erzählt, die auf einen eindeutigen Höhepunkt hinarbeitet. Die Spannung entsteht aus den Fragen, wer der Mörder ist, wer ihn erwischt oder ob er mit seinen Taten weiterhin durchkommt.
Gemeinsamkeiten: In beiden Spielen stehen die Charakterentwicklung und die Emotionen klar im Fokus. Jeder Charakter hat seine eigene Geschichte, Motivation und auch menschliche Makel. Es fällt leicht sich mit einer oder mehreren Figuren zu identifizieren und in den emotionalen Strudel hineingezogen zu werden.
Unterschiede: Eine der Hauptfaszinationen von Heavy Rain ist das Prinzip von Ursache und Effekt. Die Charaktere werden in verschiedene Situationen geworfen, die der Spieler irgendwie lösen muss. Es gibt verschiedene Lösungsansätze und auch Möglichkeiten Fehler zu machen, wodurch ein Hauptcharakter den optimalen Weg verlassen oder sogar sterben kann. Jede Spielbewegung kann sich im Großen oder Kleinen auf die gesamte Geschichte auswirken. BTS fehlt diese Freiheit. Innerhalb einer Episode können zwar mal mehr und mal weniger Optionen gewählt und Entscheidungen getroffen werden, aber sie wirken sich nur im geringen Grad auf den weiteren Verlauf der Episode aus. Auswirkungen auf das große Ganze fehlen im Grunde völlig und kommen erst am Ende als „Große Entscheidung“ vor. Lediglich die Wegbegleiter von Jodie können das Leben verlieren.
Das Gameplay
Beyond: Two Souls: Man steuert die Charaktere Jodie und Aiden, sofern man bei Aiden von einem solchen sprechen kann. Jodie bewegt sich in der physikalischen Welt und kann je nach Episode mit Objekten interagieren, mit Personen sprechen oder im beschränkten Maß das aktuelle Areal abschreiten. Aiden kann in den meisten Situationen frei übernommen werden und man wechselt in eine schwebende Perspektive, während Jodie an ihrem Platz stehen bleibt. Als Aiden kann man durch Wände und Decken schweben, Objekten einen „Schubs“ geben und Personen übernehmen oder würgen. Die jeweiligen Möglichkeiten sind nur in Abhängigkeit der Geschichte möglich, was bedeutet, dass man Objekte und Personen nur dann beeinflussen kann, wenn es das Storytelling erfordert. Ein amoklaufender Aiden ist in den meisten Fällen nicht möglich. Die Steuerung der Interaktionen ist stark vereinfacht, was es einfach macht der Handlung zu folgen.
Heavy Rain: Auch Heavy Rain beschränkt sich darauf die Charaktere mit der Umwelt interagieren zu lassen. Tastenkombinationen, mehr oder weniger intuitive zur jeweiligen Aktion passende Bewegungen mit den Analogsticks und QTEs gehören zu den wichtigsten Steuerelementen. In manchen Abschnitten dürfen zudem kleine Kombinationsrätsel gelöst werden und Tatorte untersucht werden.
Gemeinsamkeiten: Beide Spiele legen mehr wert auf das, was man sieht und weniger auf das was man macht. Es ist keine spielerische Herausforderung bis zum Abspann zu gelangen und das Gameplay dient viel mehr dazu den Spieler mehr an die Charaktere zu binden und unter Umständen eine Situtation so zu ändern, wie man es für die jeweilige Person gerade am liebsten hätte.
Unterschiede: Das Gameplay von BTS ist wesentlich reduzierter, als man es noch bei Heavy Rain erlebt hat. In den meisten Fällen reicht eine unbestimmte Bewegung mit dem rechten Stick, um eine Aktion zu triggern. Kompliziertes Tastendrücken kommt nur selten vor, während QTEs intuitiv gestaltet sind. Heavy Rain zeigt gerade in hektischen Situationen Anweisungen wie „rechts, rechts, links, Dreieck“, was den Spieler vor das Problem stellt entweder dem „Film“ zu folgen oder sich auf die Anweisungen zu konzentrieren. Beyond beschränkt sich bei den QTEs auf Jodies Bewegungen, die man während einer kurzen Zeitlupe antizipieren muss, um gemäß der angedeuteten Körperhaltung die Bewegungsrichtung auszuwählen.
Ein weiterer Unterschied ist das Zwischenspiel von Jodie und Aiden. Als Spieler kann man stets zwischen den beiden wechseln, um nach Interaktionsmöglichkeiten zu suchen. Als besonderer Kniff kann man aber auch zu zweit spielen und die Rollen entsprechend aufteilen. Übergibt Jodie die Kontrolle an Aiden, übernimmt der andere Spieler und bleibt solange am Drücker, bis dieser wieder an Jodie übergibt. Erstaunlicherweise macht das sogar Spaß und passt wunderbar in das Spielerlebnis, da Jodie und Aiden zwar eine Einheit, aber doch zwei verschiedene Charaktere sind. Diskussionen mit dem Spielpartner endlich die Kontrolle wieder abzugeben, spiegeln diese Verbindung hervorragend wieder.
Glücklicherweise verzichtet man bei Beyond auf die leidige Move-Steuerung, die man Heavy Rain nachträglich als Option aufgepatcht hat. Dafür kann man aber per Smartphone-App steuern, was für Gelegenheitsspieler mit nur einem Controller, aber einem potentiellen zweiten Spieler wirklich interessant ist. Wegen der einfachen Steuerung geht das Wischen und Tippen über das Smartphone auch leicht von der Hand. Man braucht nur die PS3 und das Smartphone im Heimnetzwerk, die App und man kann loslegen. Diese Steuerung eignet sich jedoch eher für Aiden, da seine Bewegungen weniger komplex sind.
Beyond hat allerdings auch ein Problem während der frei steuerbaren Abschnitte. Jodie lässt sich teils nur bockig steuern und die Figur reagiert nicht so schnell oder genau, wie man es eingibt. Die Steuerung kann zwar angepasst werden, und auch wenn es nie zu provozierten Fehlern durch die schlechte Steuerung kommt, kann es ein wenig die Atmosphäre zerstören. Heavy Rain war zwar auch nicht gerade ein Steuerungstraum, lief aber doch um einiges flüssiger.
Die Schauspieler
Beyond: Two Souls: Es ist nicht das erste Mal, dass namhafte Schauspieler für Videospiele verpflichtet wurden. Neben immer wieder gerne gesehenen/gehörten Auftritten als Synchronsprecher, dienten einige auch als Vorlage für das digitale Ebenbild oder haben per Motion Capturing ganze Szenen gespielt. L.A. Noir gehört mit seinem Fokus auf die Mimik der Charaktere wohl zu den bisher herausragendsten Vertreten. Beyond legt noch eine Schippe drauf und bietet mit Ellen Page und Willem Dafoe gleich zwei Hochkaräter zweier Generationen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Spielen wurden hier allerdings alle Abschnitte gespielt und anschließend digital verarbeitet, da es quasi keine Action-Sequenzen gibt. Die Leistung der Schauspieler ist über jeden Zweifel erhaben und man merkt, dass hier echte Hollywood-Profis am Werk waren. Dank aktueller Technik geht auch nichts der Leistung verloren, sieht man doch in jeder Situation noch den kleinsten Gesichtsmuskel, der ein Lächeln oder einen Ausraster ankündigt.
Heavy Rain: Hier kommt man ohne namhafte Schauspieler aus, was die Leistung nicht schlechter macht. Aber so beeindruckend Heavy Rain vor einigen Jahren mit der Darstellung von Mimik und natürlichen Bewegungen war, fällt es im Vergleich zu Beyond doch ab. Den Figuren fehlt einfach das gewisse Etwas, um mich davon zu überzeugen digitale Schauspieler zu sehen.
Gemeinsamkeiten: Realismus, so weit es das Entstehungsjahr zulässt. In beiden Spielen werden Schauspieler eingesetzt, die mit ihrer Leistung die nötige Glaubwürdigkeit injizieren.
Unterschiede: Auch wenn Beyond die neue Referenz für realistische Menschendarstellung ist, ist man vom Fotorealismus nachwie vor weit entfernt. Nichts desto trotz ist man beeindruckt, wie viele Details die Charaktermodelle besitzen und wie sehr die Profis die Geschichte tragen. Insbesondere Ellen Page vermittelt die Einsamkeit und Hilflosigkeit in ihrer Situation trotz der scheinbaren Macht grandios. Bei Heavy Rain sind die Schauspieler eher Mittel zum Zweck. Sie vermitteln ebenfalls starke Emotionen und machen die Geschichte glaubwürdig, stehen aber nicht so sehr im Fokus wie Page, was nicht zuletzt am Fehlen einer echten Hauptrolle in Heavy Rain liegt.
Die Musik
Quantic Dreams gehört zu den Studios, die schon früh verstanden haben, dass eine emotionale Geschichte nur mit einer entsprechenden Musik funktioniert. Bereits in Fahrenheit brachte die Musik einen Hauch von Hollywood auf die Konsolen.
Heavy Rain: Normand Corbeil schuf mit dem Soundtrack von Heavy Rain ein Meisterwerk. Tragende Passagen mit Streichern und Piano, hektisch-peitschende Stücke mit einem vollen Orchester und Charakter Themes, die innere Zerissenheit, bedingungslose Hingabe und auch Zweifel immer ahnen lassen. Jedes Stück ist immer passend zur Szene, kann aber auch von sämtlichen Bildern losgelöst genossen werden. Dieser Soundtrack spielt in der obersten Liga der Spiel- und Filmmusik.
Beyond: Two Souls: Auch hier hatte Normand Corbeil den Auftrag die Musik beizusteuern, doch leider ist er bereits im Frühjahr 2013 verstorben und konnte das Werk nicht vollenden. Eingesprungen sind dann Hans Zimmer und Lorne Balfe, die Hollywood und Gaming kombinieren, dabei aber Corbeis ersten Ideen treu bleiben. Die Handschrift von Zimmer ist allerdings nicht zu leugnen, blitzen doch immer wieder Sounds aus Last Samurai und Inception durch. Da Beyond ein nicht ganz weltliches Thema hat und auch einen Hauch Science Fiction mitbringt, klingen einige Passagen etwas sphärischer und arbeiten wohl dosiert mit dezenten akkustischen Effekten.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede machen hier keinen Sinn. Beide Soundtracks sind hervorragend, hollywoodreif und bieten die breite Palette von Melancholie bis Adrenalin. Fans von Hans Zimmer Scores fühlen sich bei Beyond sofort zu Hause, aber die Musik von Heavy Rain ist ohne diese Signatur keinesfalls weniger wert.
Fazit
Sowohl Heavy Rain, als auch Beyond: Two Souls sind Meilensteine der Videospiel-Geschichte. Beide erzählen eine bewegende Geschichte und führen den Spieler auf eine Reise, die man sicher nicht mehr vergisst. Dabei spielt es in meinen Augen keine Rolle, ob man mehr einen Film sieht oder ob man in Daueraktion ist. Diese Form der digitalen Unterhaltung wird noch für lange Zeit ein Nischendasein fristen, wird aber mittelfristig ein fester Teil der medialen Massenunterhaltung werden.
Für mich bleibt aber Heavy Rain doch noch das minimal bessere Spiel, da hier die Bindung zu den Charakteren und der Geschichte als solche viel intensiver ist. Beyond fehlt schlicht die Freiheit der Konsequenzen und bleibt mit seiner Geschichte weitestgehend starr in seinem Korsett, nimmt den Spieler aber auch auf eine etwas andere Art der Reise mit. Machen Entscheidungen nur Nuancen innerhalb einzelner Episoden aus, hat man am Ende die Freiheit zu entscheiden, wie es mit Jodie und Aiden weitergehen soll. Diese Freiheit fehlt bei Heavy Rain, da man dort mit der Summe aller Entscheidungen leben muss. Als PS3-Besitzer sind beide Titel Pflicht und brauchen einen festen Platz in der persönlichen Spielbibliothek.
Am 9. Oktober erscheint das von mir heiß ersehnte PS3-Game Beyond: Two Souls, mit Ellen Page und Willem Dafoe in den Hauptrollen. Es stammt von David Cage, der bereits mit dem außergeöhnlichen Titel Fahrenheit auf sich aufmerksam machte und spätestens mit Heavy Rain zumindest jedem PS3-Besitzer ein Begriff ist. Da Beyond: Two Souls das bisher einzige Spiel in diesem Jahr ist, auf das ich wirklich sehnlichst warte und entsprechend zu den Vorbestellern gehöre, bin ich stolzer Besitzer eines Codes, der das Spielen der Demo ermöglicht. Ich will mir das Spielerlebnis allerdings nicht verderben und kann bis zum Release warten, aber wenn hier jemand neugierig, aber unentschlossen ist, hat er jetzt die Chance diesen Vorbesteller-Code von mir zu erhalten, um die noch exklusive Demo-Version zu bekommen.
Was ist zu tun?
Ganz einfach: Du hinterlässt hier einen Kommentar und schreibst kurz (oder lang), warum ausgerechnet du den Code bekommen sollst. Ich werde am kommenden Sonntag, den 6.10. den Gewinner auslosen, falls es mehr als einen Teilnehmer geben sollte. Stellt nur sicher, dass ihr eine gültige Mail-Adresse hinterlasst, damit ich euch den Code auch zuschicken kann. Viel Glück!
100% XBox 360 kompatibel
In Kürze erscheint das neueste Spiel von Quantic Dreams mit dem Namen Beyond: Two Souls. Grund genug noch einmal auf den Klassiker einer vergangenen Generation aus gleichem Hause zurückzublicken. Warum? Weil es sich noch immer lohnt!
Die vergangenen Jahre zeigen, dass die Welt gerne mit Verbrechensaufklärung und Mystery unterhalten werden will. Nicht umsonst waren und sind Serien wie Akte X, Lost oder diverse CSI-Ableger dermaßen erfolgreich. Die logische Konsequenz ein Videospiel auf den Markt zu werfen, welches in diese Kerbe schlägt war nicht nur unvermeidlich sondern seiner Zeit auch längst überfällig. Das Ergebnis ist ein Spagat zwischen aktiver und passiver Unterhaltung.
Adventure trifft Mysterythriller
Eigentlich wollte Lucas Kane nur in Ruhe seinen Kaffee trinken und die Winterkälte der Großstadt für ein paar Stunden vergessen. Doch wie so oft kann das eigene Leben innerhalb weniger Momente eine Wendung erfahren, mit der man noch am selben Morgen niemals gerechnet hätte. Lucas wäre sicher nicht auf die Idee gekommen an diesem Abend über der blutverschmierten Leiche eines wildfremden Mannes zu stehen, ohne zu wissen wie es zu der Bluttat gekommen ist. Und wieso sind die eigenen Hände blutverschmiert und wo kommt eigentlich das Messer her?
Der Mord ist begangen, die Polizei ist bereits im Haus. Was ist zu tun?
Hier fängt die Geschichte an. Lucas, wie aus Trance erwacht, realisiert seinen Mord und will den Tatort schnellstmöglich verlassen. Während er schon die Klinke in Richtung Speiseraum in der Hand hält bemerkt er, dass man von seiner Anwesendheit weiß, man seine Fingerabdrücke finden wird, und dass die Zukunft eines überführten Mörders sicher nicht erstrebenswert ist. Er sollte nun zumindest versuchen seine Spuren zu verwischen, womit der Spieler die Kontrolle übernimmt. Es gibt viel zu tun: es sind Blutspuren zu sehen, die Leiche liegt mitten auf der Keramik, die Tatwaffe sollte verschwinden und natürlich muss man selber so unauffällig wie möglich den Tatort verlassen. Da man sich an einem öffentlichen „Örtchen“ befindet darf man nicht zu viel Zeit verlieren, da jeden Moment einer der anderen Gäste eintreten könnte. Dieser Zeitdruck wird dem Spieler auch schnell visualisiert, da in guter Filmtradition das Bild plötzlich geteilt wird und ein Stammkunde, seines Zeichens Polizist, von der Theke aufsteht und Richtung Toilette schlendert. Natürlich entkommt der gewiefte Spieler dieser brenzligen Situation, doch wie gut man diese Aufgabe gelöst hat merkt man erst, wenn das Ermittlerteam den Tatort untersucht. Die Aufklärung liegt allerdings in der eigenen Hand, denn hier kommt einer der ungewöhnlichen Elemente von „Fahrenheit“ zum tragen. Der Spieler übernimmt ebenfalls die Steuerung der Ermittler Carla und Tyler. Anders als erwartet ist die Bestandsaufnahme nicht ganz so einfach gestrickt, denn mit geschickt eingesetzten Stilmitteln weiß man nicht wie die ein oder andere Spur verfälscht wurde, obwohl man als Spieler kurz zuvor die Fäden noch in der Hand hielt. Der Mord auf der Herrentoilette eines New Yorker Schnellrestaurants und die darauf folgenden polizeilichen Ermittlungen setzen eine Kette von Ereignissen in Gang, die den Spieler auf eine spannende und zunehmend geheimnisvolle und fantastische Reise nehmen, auch wenn die anfänglichen Geschehnisse eher weltlich verankert sind.
Im Labor zieht Carla ihre ersten Schlüsse über den Tathergang.
Ab auf die Couch
Fahrenheit präsentiert sich nicht als klassisches Videospiel. Die Intention der Entwickler war eindeutig den Spieler in einen Film zu versetzen, in dem er selber sämtliche Hauptrollen spielt. Kameraperspektiven dienen oft mehr der Dramaturgie als der Übersicht, Splittscreens erzeugen Spannung und Zeitdruck, persönliche Dilemmas der Protagonisten erzeugen Emotionen. Wäre man nicht per Controller ins Geschehen integriert wäre man versucht sich auf der Couch zusammenzurollen, um einen spannenden Film zu schauen. Spielerisch liefert „Fahrenheit“ eine Mischung aus bekannten Adventureelementen, Quick Time Events (QTEs) und Geschicklichkeitseinlagen. Grundsätzlich gilt es bestimmte Gegenstände einzusammeln und Hinweise durch Gespräche zu finden, um entsprechende Rätsel lösen zu können. Für die Steuerung wurde nahezu komplett auf die Tasten des Controllers verzichtet. Man steuert die Figuren und auch die QTEs nur mit den beiden Sticks. Manche Szenen erfordern zusätzlich den Einsatz der Trigger, was das Gameplay entsprechend auflockert. Die Art der Rätsel hängt dabei anfangs von der Fähigkeit des Spielers die entsprechenden Puzzelstücke zu finden ab. Der Schwierigkeitsgrad dieser Segmente wurde dabei für Genreverhältnisse und zu Gunsten einer komplexen Geschichte sowie dreidimensionaler Charaktere stark runtergeschraubt. Wenn ihr beispielsweise der Augenzeugin die richtigen Fragen stellt kann eine vernünftige Phantomzeichnung angefertigt werden. Ist dieses Beweisstück zu weit von den Tatsachen entfernt fehlt dem Spieler dieses Element für die weitere Ermittlung. Habt ihr als Täter vom Tatort kein Telefonat geführt bietet die Liste der ausgehenden Anrufe ebenfalls keine Anhaltspunkte. Dieses Muster von Aktion und Reaktion nimmt mit zunehmender Spieldauer ab, da die Story in ein immer engeres Korsett geschnürt wird. Nichts desto trotz können zu Beginn viele Weichen gestellt werden, die sich unterschiedlich auf den weiteren Verlauf auswirken. Die jeweiligen auszuführenden Aktionen fügen sich nahtlos in das Spielerlebnis ein. Für jede Bewegung erscheint ein animierter Ministick auf dem Bildschirm. Diese Bewegung muss so genau wie möglich nachgeahmt werden, um die Aktion letztlich auch auszulösen. Zieht ihr eine Schublade auf imitiert der Stick die Bewegung der Hand Richtung Griff um anschließend die Lade zu öffnen. Ein solcher „Kunstgriff“ wiederholt sich in nahezu jeder Szene und bezieht den Spieler über die Norm in die Handlung ein. Leider muss man die Figur des Öfteren im Raum neu positionieren, um auch endlich die gewünschte Aktion ausführen zu können, was zu hakeligen Fummeleien ausarten kann. Hat man sich aber mal an dieses Manko gewöhnt geht die Steuerung gut von der Hand. Soweit zum handwerklichen, denn eine gute Geschichte lebt von seinen Charakteren. Je interessanter und tiefgründiger eine Figur ist, desto lebendiger wirkt sie auch. Alle Protagonisten haben ihre eigenen Macken, ein Privatleben und einen Gemützustand. Letzteren gilt es ständig im Blick zu behalten, denn sinkt dieser Wert auf Null ist der Charakter entweder reif für die Heilanstalt, quittiert seinen Job oder begeht kurzerhand Selbstmord, was natürlich gleichbedeutend mit dem „Game Over“ Screen ist. Sorgt also dafür nicht zu viele Fehler zu produzieren und gönnt Lucas, Carla und Tyler ihre Streicheleinheiten und Erfolgserlebnisse – sie haben es wirklich nötig.
Schnee und Minusgrade sind allgegenwärtig.
Frostige Stimmung
Wie der Titel schon sagt spielt die Temperatur eine allgegenwärtige Rolle. Fahrenheit spielt während eines harten Winters und den Entwicklern ist es gelungen die Minusgrade auf die DVD zu bannen. Atemwolken, Schneetreiben und viele verschiedene eingeschneite Schauplätze sorgen für die richtige Atmosphäre. Trotz schwammiger Texturen und eher steif animierter Charaktere wird die Gesamtstimmung zweckmäßig vermittelt. Leider steht sich die gesamte Präsentation hin und wieder selbst im Weg. Die Zielsetzung einen „Spiel-Film“ zu kreieren wurde zwar erreicht, aber die teils eckige Grafik hebelt den Filmcharakter immer wieder aus. Die Personen verfügen über eine ausgereifte Mimik und gute Lippensynchronität, lassen dagegen animierte Details wie bewegliche Finger vermissen. Die Soundkulisse ist dagegen wieder im cineastischen Bereich anzusiedeln: ein Hollywood reifer Soundtrack vermittelt Dramatik und Gefühle und die Geräusche treffen den Punkt ohne bombastisch zu sein. Die Musik ist stellenweise ein wenig zu laut geraten und kann das gesprochene Wort schon mal übertonen. Dafür sind dem Spieler allerdings Texttafeln komplett erspart geblieben. Die Synchronisation geht an dieser Stelle in Ordnung, auch wenn sie für den deutschsprachigen Raum nicht annähernd so gut gelungen ist wie die englische Originalversion. Die Sprecher wirken im direkten Vergleich ein wenig lustlos. Glücklicherweise handelt es sich bei Fahrenheit um eine Multi-Language-Disk: stellt man seine Konsole auf „English“ um, kommt man in den Genuss einer tadellosen Sprecherleistung. Das Gesprochene wird auf Wunsch auch in der gleichen Sprache untertitelt. Man läuft also nie Gefahr ein wichtiges Detail zu überhören.
Carla und Tyler sind während der Untersuchung gleichermaßen steuerbar.
Fazit
Trotz der offensichtlichen Kritikpunkte wie durchschnittliche Grafik und ungeschickte Perspektiven kann man Fahrenheit zumindest mal als „Hämmerchen“ bezeichnen. Es belebt ein fast schon tot geglaubtes Genre und impft ihm direkt neue Ideen ein. Durch die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten können Nuancen der Geschichte variiert werden, was in 3 verschiedenen Enden gipfelt. Hardcoreabenteurer, die gerne Stunden damit zubringen Gegenstand A und B zu finden um Problem R zu lösen, obwohl man noch bei C feststeckt sind hier fehl am Platz. Die Geschichte ist das wichtigste und die Atmosphäre kann nur durch stetiges Vorankommen gewahrt werden. Die Spielzeit von ungefähr 15 Stunden wirkt zwar ein wenig knapp, aber da man kaum in Sackgassen gerät bekommt man viel für sein Geld. Einsteiger werden über die Fingerübungen stolpern, doch erfahrene Spieler sollten auch hier kaum ins Stocken geraten. Als Bonbon kann man diverse Boni wie Making of, Bonusanimationen oder Songs freischalten. Wer also ein großes Stück Unterhaltung mit inhaltlichem Anspruch, aber ohne hohen Schwierigkeitsgrad sucht muss zugreifen. Actionfans und Freunde der kommunikationsarmen Unterhaltung sollten den Titel dagegen voll und ganz ignorieren.


